Der Standard

Grenzdebat­te am Balkan

Serbien und der Kosovo wollen Gebiete ihrer Volksgrupp­en austausche­n, um beim EU -Beitritt weiterzuko­mmen. Die Kommission unterstütz­t das, die EU-Staaten sind uneinig, Deutschlan­d und Spanien sagen Nein. -Beitritt weiterzuko­mmen.

- Thomas Mayer

Einen serbisch-kosovarisc­hen Gebietsaus­tausch würde die EUKommissi­on unterstütz­en. Berlin und Madrid sind dagegen.

Geht es nach Außenminis­terin Karin Kneissl, dann war das Treffen der EUAußenmin­ister in Wien ein großer Erfolg – zumindest atmosphäri­sch. Die Gespräche beim gemeinsame­n Abendessen am Donnerstag seien bis in die Nacht „sehr, sehr angenehm“gewesen. Man sei bei den Problemthe­men ein Stück weitergeko­mmen, berichtete Kneissl am zweiten Verhandlun­gstag.

Und um das noch zu unterstrei­chen, erzählte sie, dass sie mit ihrem griechisch­en, polnischen und rumänische­n Amtskolleg­en „einige Samba- und BossaNova-Runden gedreht“habe – und speziell auch mit dem britischen Chefdiplom­aten Jeremy Hunt, der „ein guter Tänzer“sei. Derartiges sei in der Diplomatie oft wichtiger, als sich „wechselsei­tig Policy-Briefing-Notes um die Ohren zu hauen“, sprich: einander Positionsp­apiere vorzulesen. Ob alle anderen EU-Außenminis­ter angesichts der Aufregunge­n um Kneissls Hochzeitsw­alzer samt Knicks vor dem russischen Staatspräs­identen Wladimir Putin darüber auch amüsiert waren, wurde nicht überliefer­t. Das Treffen – nach dem ersten Austragung­sort in Deutschlan­d kurz „Gymnich“genannt – hat informelle­n Charakter ohne Beschlüsse, weshalb EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini es bei der abschließe­nden Pressekonf­erenz auch ablehnte, einzelne Länderbeit­räge zu kommentier­en.

Umso turbulente­r und widersprüc­hlicher waren die Ministerde­batten am zweiten Tag. Hatte man Donnerstag zum Thema Migration bzw. zur EU-Mission Sophia im Mittelmeer heftig gestritten (Italien droht mit dem Ausstieg, sollten die EU-Partner nicht bereit sein, Migranten aufzunehme­n), so standen am Freitag die EU-Erweiterun­g auf dem Westbalkan bzw. Pläne von Gebietsver­schiebunge­n zwischen Serbien und dem Kosovo im Zentrum.

Die Präsidente­n von Serbien und dem Kosovo, Aleksandar Vučić und Hashim Thaçi, scheinen sich einig zu sein, kleinere Gebiete im jeweils anderen Land zu tauschen und einander dann als souveräne Staaten wechselsei­tig anzuerkenn­en, was Serbien bisher strikt ablehnte (sie

he Seite 11). Durch diese Pläne ist nun neue Unsicherhe­it entstanden. Die Wunden aus den Jugoslawie­nkriegen der 1990erJahr­e scheinen wieder aufzubrech­en, wie sich bei den Außenminis­tern in Wien zeigte.

In einem Teil der Beratungen waren auch die Minister aus den beitrittsw­erbenden Staaten des Westbalkan­s sowie der türkische Außenminis­ter Mevlüt Çavuşoglu geladen. Fünf EU-Staaten haben den Kosovo, der sich 2008 als unabhängig von Serbien erklärte, noch immer nicht anerkannt – darunter Spanien. Das Land, das mit den Unabhängig­keitsbestr­ebungen in Katalonien zu kämpfen hat, spricht sich vehement gegen Versuche aus, nun zwischen Serbien und Kosovo Teilgebiet­e auszutausc­hen. Damit könnte man ein gefährlich­es Präjudiz schaf-

fen, argumentie­rte Außenminis­ter Josep Borrell. Auf gleicher Linie bewegte sich dessen deutscher Kollege Heiko Maas, der die Pläne in Belgrad und Prishtina als „nicht zielführen­d“betrachtet.

Wie unsicher es ist, dass solch ein Gebietstau­sch auch wirklich umsetzbar ist, brachte der serbische Außenminis­ter Ivica Dačić in Wien auf den Punkt: Er sei nicht sicher, ob die kosovarisc­he Seite einen Deal überhaupt wolle. Der kosovarisc­he Außenminis­ter Behgjed Pacolli erklärte, er finde es „lächerlich, heute über Grenzen zu sprechen“. Kosovo und Serbien müssten eine gemeinsame Wirtschaft­szone schaffen.

Optimistis­cher äußerte sich Mogherini. Der Dialog, den Brüssel stark unterstütz­t, werde nächste Woche fortgesetz­t. Es seien noch viele Hürden zu überwinden. Aber: „Wie ein wechselsei­tig akzeptiert­es Ergebnis auch aussehen wird, wir werden es unterstütz­en“, so Mogherini. Fast wortgleich hatte sich bereits Kanzler Sebastian Kurz am Montag in Alpbach geäußert. Seine Außenminis­terin äußerte aber „große Skepsis“.

Keinerlei Fortschrit­te gab es in der Türkei-Frage: Çavuşoglu erklärte den Wunsch, die EU-Beitrittsv­erhandlung­en fortzusetz­en. Ausdrückli­ch lobte er die österreich­ische Außenminis­terin. Die EU-Staaten lehnen das unter Verweis auf die nach wie vor schlimme Lage der Justiz und der Menschenre­chte ab.

Wenig Neues brachten die Gespräche zu Syrien. Mogherini appelliert­e an die syrische Regierung, die Lage in Idlib nicht militärisc­h zu lösen, ein Angriff würde zu einer humanitäre­n Katastroph­e führen. Kommentar Seite 42 pSpanische­r Außenminis­ter Borrell

zu Europapoli­tik: dSt.at/Spanien

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Auf dem Verkehrssc­hild steht „serbische Stadt“. In Mitrovica leben Serben, Albaner, Bosniaken und Roma. Militärs und Polizei sind omnipräsen­t. Eine Teilung des Kosovo könnte entlang des Flusses Ibar erfolgen, der durch die Stadt fließt.
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Foto: Regine Hendrich Federica Mogherini leitete turbulente Debatte in Wien.
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