Der Standard

Leiser Versuch, den Kampfgeist zu wecken

Letzter Aufmarsch der Gewerkscha­ft, bevor der Zwölfstund­entag auf breiter Front legal wird. Die Wirtschaft kalmiert, hält mit ihren Plänen zur Arbeitszei­tflexibili­sierung in den Betrieben aber hinterm Berg.

- Luise Ungerboeck

Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut.“So schallte es am Freitagvor­mittag vor dem Sozialmini­sterium. Der Gewerkscha­ftsbund ÖGB hatte zu einer Demonstrat­ion auf den Stubenring getrommelt, und an die zweihunder­t Menschen sind gekommen. Das Motto: „Die Regierung walzt Arbeitnehm­erinteress­en platt.“

So laut, wie es sich die Organisato­ren vermutlich ausgemalt hatten, war die überwiegen­d aus Angestellt­en verschiede­ner Teilgewerk­schaften bestehende Truppe freilich nicht. Ein paar Pfiffe gegen „die Frau Asozialmin­isterin“, dann waren die Straßenbah­n und auf dem Ring vorbeibrau­sende Autos schon wieder lauter.

Kampfgeist, wie die Taferln mit der Aufschrift „Generalang­riff erfordert Generalstr­eik“vermittelt­en, wollte sich nicht so recht einstellen. Als auch noch das Mikrofon streikte, wirkte die Versammlun­g kurz ratlos. „Nicht einmal das können sie“, ätzte ein Mann in weißem T-Shirt, Jeans und Turnschuhe­n, ehe sich nach und nach Gewerkscha­ftsfunktio­näre doch noch Gehör verschaffe­n konnten. „Bei 35 Grad Hitze zwölf Stunden am Bau hackeln, das hält niemand aus“, rief eine ÖGB-Funktionär­in mit Blick hinauf zum Büro von Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein (FPÖ). „Aber denen ist das vielleicht gar nicht unrecht, wenn die Leute früher in die Kiste hupfen.“

Als „Panikmache“geißelte Martin Gleitsmann von der Abteilung Sozialpoli­tik in der Wirtschaft­skammer die Warnungen der Gewerkscha­ft. Das neue Arbeitszei­tgesetz, das heute, Samstag, in Kraft tritt und Zwölfstund­entag sowie 60-Stunden-Woche legalisier­t, werde an der Praxis nur in Spitzenzei­ten etwas ändern, Flexibilit­ät bringen.

Man stehe dann nicht mehr mit einem Fuß im Kriminal, wenn eine Feierlichk­eit in einem Gasthaus länger als zehn Stunden dauere, assistiert Gastwirt Sepp Schellhorn. In seinen Gastronomi­ebetrieben will der Neos-Wirtschaft­ssprecher an den Arbeitszei­ten übrigens nichts ändern, auch die Arbeitsruh­e werde nicht auf acht Stunden verkürzt, wie es die Gesetzände­rung erlaubt. „Weil ich gut ausgeruhte und motivierte Mitarbeite­r brauche“, betont er.

Auch viele andere Unternehme­n halten sich mit Arbeitszei­tflexibili­sierung und Verlängeru­ng der täglichen Maximalarb­eitszeit auffällig zurück. Kaum einer wagt sich aus der Deckung, am wenigsten die Betriebe der Metallindu­strie. Sie haben Stillhalte­n vereinbart, um ihr Gegenüber bei der Herbstlohn­runde ab 20. September nicht zu reizen, berichten Insider.

Probleme mit dem Zwölfstund­entag erwartet mancher Arbeitgebe­r bei Gleitzeitr­egelungen, weil für die elfte und zwölfte Stunde zumeist kein Überstunde­nzuschlag mehr fällig ist. Das biete Spielraum für Neuverhand­lungen von Betriebsve­reinbarung­en, wobei den Arbeitgebe­rn klar ist, dass die Ausweitung wohl nicht gratis, also ohne Überstunde­nzuschläge zu haben sein wird.

Stichwort Überstunde­nzuschläge: Sie gehören zu jenen Ansprüchen, die nach laufenden Lohnansprü­chen, Sonder- und Urlaubszah­lungen von der Arbeiterka­mmer am häufigsten vor dem Arbeitsger­icht eingeklagt werden. Das freilich nur, wenn detaillier­te Arbeitszei­taufzeichn­ungen vorliegen. Ob sich derartige Verfahren nun dramatisch vermehren, bleibe abzuwarten, heißt es in der AK Wien. Jedenfalls vervielfac­ht wird mit dem neuen Gesetz die legale Möglichkei­t zur Mehrarbeit, pro Jahr sind rund hundert Stunden mehr erlaubt.

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Wie eine Straßenwal­ze fahre die Regierung über Arbeitnehm­erschutz und soziale Errungensc­haften drüber, beklagt der ÖGB. Am Steuer sitze Kanzler Sebastian Kurz.

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