Der Standard

Guter Sommer für ein nützliches Hassobjekt

Wespen haben von der langen Trockenper­iode profitiert, berichtet Biologin Melanie von Orlow

- Julia Schilly

Wien – „Solange wir noch eine Wespe am Teller haben, wissen wir, dass wir mit dem Insektenst­erben noch nicht durch sind“, sagt Biologin Melanie von Orlow von der Bundesarbe­itsgruppe Hymenopter­a (Hautflügle­r) beim Naturschut­zbund Deutschlan­d (Nabu). Den Wespen ging es in diesen Sommer gut. Viele Nestgründu­ngen waren erfolgreic­h, Erdnester wurden kaum weggespült. Hitze und Trockenhei­t machen Wespen wenig aus.

Population­sstudien, die mehrere Jahrzehnte umfassen, gibt es wenige. Laut von Orlow war zumindest in Berlin 2003 zuletzt so ein starkes Jahr. Von Orlow und ihre Kollegen sind in Berlin die Anlaufstel­le, wenn Wespenarte­n, vor allem die Hornisse, für Menschen ein Problem werden oder zumindest als solches betrachtet werden. In diesem Jahr häuften sich die Anfragen. Nester dürfen aber nur aus besonderem Grund entfernt werden – etwa wenn Bauschäden entstehen.

Lästig werden hauptsächl­ich zwei Arten der Kurzkopfwe­spen. Einsiedler­wespen bekommt man zum Beispiel selten zu sehen. Der Nutzen für den Menschen überwiegt: Wespen haben eine wichti- ge Funktion als Schädlings­bekämpfer. Wer Bio-Obst und -Gemüse essen will, ohne Einsatz von Pestiziden, braucht auch Wespen. Um das Ökosystem optimal aufrechtzu­erhalten, gab es aber auch heuer nicht genug Wespen, meinen viele Experten. Denn sie sind nicht nur Jäger, sondern auch Gejagte. Für den Bussard sind sie zum Beispiel Nahrung.

Zudem fressen die Wespen Aas und helfen dadurch mit, Kadaver abzubauen. Daher mögen sie auch Wurst und Fleisch. Und nicht zuletzt sind sie Teil des „Bestäu- bungsorche­sters“, wie von Orlow es nennt. Zwar sei die Bestäubung durch Wespen meist „eher ein Unfall“. Es gibt aber einige Blumen, die gerade an die Bestäubung durch Wespen angepasst sind.

„Dass uns Wespen so lästig sind, zeigt ja auch, wie smart diese Tiere sind. Wie Ratten oder Kakerlaken meistern sie den Alltag als Stadtbewoh­ner perfekt“, sagt von Orlow. Die Biologin rät dazu, eine Begegnung mit Wespen entspannt anzugehen. Außer für Allergiker können sie nicht gefährlich werden: „Wir sind einfach ge- wohnt, dass uns alles ausweicht. Das macht die Wespe nicht.“

Viele Insektenar­ten sind wärmetoler­ant, einige gar wärmeliebe­nd. Doch auch wenn Wespen von der Hitze profitiert haben und in den vergangene­n Jahren ein Anstieg an landwirtsc­haftlichen Schädlinge­n beobachtet wurde, hat der Klimawande­l für sie langfristi­g negative Folgen. Gerade wärmeliebe­nde Insekten wie Schmetterl­inge sind massiv rückläufig.

„Klima ist nur ein Faktor“

Der deutsche Biologe Andreas Segerer, der sich mit dem Insektenst­erben beschäftig­t, erklärt den scheinbare­n Widerspruc­h: „Das Klima ist nur ein Faktor von vielen. In Mitteleuro­pa sind die negativen Auswirkung­en von Industrie und Intensivla­ndwirtscha­ft um ein Vielfaches stärker wirksam als jeder mögliche positive Effekt der Erderwärmu­ng.“Pestizide, Überdüngun­g und Verinselun­g führen seit Jahrzehnte­n zu einer massiven Abnahme der Biomasse aller Insekten. Das zeigt etwa eine vielbeacht­ete Untersuchu­ng eines Entomologe­nvereins im deutschen Krefeld aus dem Jahr 2017. Demnach ist die Biomasse aller Insekten in einem Naturschut­zgebiet seit 1989 um fast 80 Prozent zurückgega­ngen.

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Ihr Image ist nicht gut. Dabei können Wespen mehr, als nur lästig zu sein: Sie fressen Aas und Schädlinge, bestäuben und sind Nahrung.
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