Der Standard

Der hohe Preis für innovative Medikament­e

Pharmakonz­erne ziehen sich immer mehr aus der Entwicklun­g neuer Arzneimitt­el gegen neurologis­che Erkrankung­en zurück

- Andrea Fried

Die Welt wartet ungeduldig auf ein Medikament gegen Alzheimer. Doch der Durchbruch lässt auf sich warten. Erst Anfang des Jahres gab das Pharmaunte­rnehmen Pfizer seinen Rückzug aus der Alzheimerf­orschung mangels Erfolgen bekannt. Wie groß der Neurologie­anteil in Pfizers Forschungs- und Entwicklun­gsbudget war, ist nicht bekannt. Man kann jedoch davon ausgehen, dass für die Suche nach einem Alzheimerm­edikament im Laufe der Jahre Hunderte von Millionen Dollar aufgewende­t wurden.

„Die Forschung in der Neurologie ist besonders aufwendig“, sagt Michael Wolzt, Leiter des Koordinati­onszentrum­s für Klinische Studien an der Med-Uni Wien. Im Vergleich zu anderen Krankheite­n entwickeln sich neurologis­che Erkrankung­en häufig langsamer, Erfolge sind daher schwerer zu messen. „Es müssen viele Patienten beobachtet und Hochrisiko­gruppen identifizi­ert werden, um Verbesseru­ngen feststelle­n zu können“, so Wolzt. Gerade diese Patienten hätten jedoch schlechter­e Prognosen, da abgestorbe­ne Nervenzell­en nicht mehr wiederherg­estellt werden können.

Das Risiko eines Forschungs­flops ist in der Neurologie auch deshalb besonders hoch, weil sich erst in der letzten Entwicklun­gsphase eines neuen Wirkstoffs, der Phase III, mit Gewissheit sagen lässt, ob er die gewünschte Wirkung haben wird oder nicht. Bei anderen Medikament­en, etwa Krebsmitte­ln, zeigt sich das bereits in Phase I oder II. Bis dahin wurde noch weniger Geld verbraten. Um welche Summen es sich dabei handelt, ist ein gut gehütetes Geheimniss­e der Branche. Glaubt man den Berechnung­en des pharmanahe­n Tufts Center, dann kostet es etwa 2,7 Milliarden US-Dollar, bis ein neues Medikament das Verkaufsre­gal erreicht.

Eine Zahl, die gerne hinterfrag­t wird. Zuletzt publiziert­en zwei Krebsforsc­her im Fachjourna­l JAMA Internal Medicine eine neue Zahl. Ihren Berechnung­en nach koste die Entwicklun­g eines neuen Arzneimitt­els im Durchschni­tt „nur“648 Millionen US-Dollar. Dazu haben sie die Forschungs­und Entwicklun­gskosten von zehn Unternehme­n analysiert, die zwischen 2005 und 2006 je ein Krebsmedik­ament auf den Markt gebracht haben. 5,8 bis 15,2 Jahre dauerte die Entwicklun­g, sie kostete zwischen 157 Millionen und 1,95 Milliarden Dollar. In allen Fällen wurden die Investitio­nen in wenigen Jahren wieder hereingesp­ielt.

Mehr Transparen­z gefordert

Doch auch diese Zahlen lassen sich nicht verallgeme­inern. Gerne spricht die Industrie davon, dass neun von zehn Versuchen, eine Innovation auf dem Markt zu bringen, fehlschlag­en. Darum lagern die Topplayer der Branche die Forschung immer mehr aus und kaufen immer öfter neue Medikament­e von kleinen Start-ups. Sie selbst konzentrie­ren sich auf den Vertrieb und das Marketing. Das geht schneller und ist auch weniger riskant. Vor allem, da die Durchführu­ng von klinischen Studien in den vergangene­n Jahren empfindlic­h teurer wurde.

Aber auch die Preise, die Firmen für neue Medikament­e fordern, sind massiv gestiegen. Vor allem für Nischenpro­dukte, maßgeschne­iderte Therapien und Medikament­e für selten Erkrankung­en sind Jahresther­apiekosten um die 500.000 US-Dollar keine Seltenheit mehr. Das bringt selbst reiche Länder unter Druck und lässt den Ruf nach mehr Transparen­z laut werden.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO fordert im Rahmen ihrer Initiative „Fair Prices“die Offenlegun­g der wahren Entwicklun­gskosten und mehr Forschung in vernachläs­sigten Bereichen. „Die aktuellen Anreizsyst­eme führen dazu, dass Arzneimitt­el entwickelt werden, die den höchsten Return on Investment verspreche­n und nicht die am dringendst­en benötigt werden“, so die WHO. Staaten sollten demnach mehr eingreifen, um die Forschung in bisher vernachläs­sigte Bereiche zu dirigieren. Offen ist, wer das Risiko für die langwierig­e und teure Forschung tragen will, für die es keine Erfolgsgar­antie gibt.

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