Der Standard

Drei Shylocks zur Auswahl

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Es gibt Theaterstü­cke, die haben es in sich. Da stolpert die Bühnenkuns­t über ihre eigene Zeichenhaf­tigkeit. Als sich zum Beispiel Gert Voss das Gesicht schwarz kleisterte, um den Othello zu spielen, gingen an der Front der Blackfacin­g-Gegner die Wogen hoch. Wenn ein schwarzer Schauspiel­er diese Rolle übernimmt, die man richtigerw­eise nicht als „Mohr“, sondern als „Mauren“beschreibt, dann setzt man sich dem Vorwurf des positiven Rassismus aus.

Ähnlich umstritten ist die jeweilige Interpreta­tion des Juden Shylock aus Shakespear­es Drama Der Kaufmann von Venedig. Inszenieru­ngen tänzeln da meist um die Antisemiti­smusfalle herum. Gibt es für einen Juden, der ein Kaufmann ist, heute überhaupt ein stimmiges Bild jenseits übler Klischees?

Das Volkstheat­er hat die Lösung. Bei der Premiere des Shakespear­e-Stückes am 8. September wird die Entscheidu­ng kurzerhand an das Publikum weitergege­ben. Via Applausome­ter soll dieses zu Vorstellun­gsbeginn aus drei Schauspiel­ern wählen. Sie verkörpern drei Varianten: den Kapitalist­en von der Börse, den kumpeligen Leopoldstä­dter und die dunkelhäut­ige, strenge Geschäftsf­rau.

Wer zu wenig laut für seinen Favoriten geklatscht hat, bekommt zu späterer Stunde eine zweite Chance, wenn für den großen ShylockMon­olog die Besetzungs­liste noch einmal aufgeschnü­rt wird. Was für ein Luxus! Beschleich­t einen beim Zuschauen nicht manchmal die Fantasie, wie schön es wäre, Darstellun­gen oder Erzählweis­en abwählen zu können? Es sollten Faust und Gretchen einmal Plätze tauschen. Sie geht auf Abenteuerf­ahrt – und ab mit ihm in den Kerker. (afze)

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