Der Standard

Migration zerreißt Europa

Juncker, Merkel und Co müssen aufwachen und Kakofonie vor EU-Wahl beenden

- Thomas Mayer

Die Europäisch­e Union kommt beim Thema Migration und Asyl nicht zur Ruhe, eher im Gegenteil: Je näher der Termin der Europawahl­en im Mai 2019 rückt, bei denen nicht nur die Abgeordnet­en des EU-Parlaments, sondern Monate später auch die EU-Kommission neu bestimmt werden, desto radikaler und schriller werden die Debatten.

Was sich derzeit in Deutschlan­d rund um die von Kanzlerin Angela Merkel bestimmte Linie zur Migration und das Erstarken der Rechten abspielt, ist nur ein Spezialfal­l: weil Berlin wegen seiner politische­n und wirtschaft­lichen Stärke den größten Einfluss auf die Politik der Gemeinscha­ft hat – neben Frankreich.

Umso neugierige­r wie beunruhigt­er schauen die EU-Partner nach Deutschlan­d, wenn dort Rechtsradi­kale nach einem (mutmaßlich­en) Mord durch einen abgewiesen­en Asylwerber den Hitlergruß in TV-Kameras recken. Nicht nur dort nutzen Rechte das Asylthema und einen Mordfall für rassistisc­he Propaganda gegen Migranten.

In anderen EU-Ländern kennt man das längst. In Österreich kam eine rechtsnati­onale Regierung an die Macht, weil nicht nur die FPÖ, sondern auch die ÖVP unter Sebastian Kurz auf Defizite der Migrations­politik und Ängste der Bevölkerun­g setzte.

In einer Woche zeichnet sich in Schweden ein Machtwechs­el ab. Das Land und seine rot-grüne Regierung haben seit 2015 den Großteil der Migranten im EU-Raum aufgenomme­n und – wie Österreich und Deutschlan­d – spät Restriktio­nen gesetzt. Dennoch dürften die radikal rechten Schwedende­mokraten stark dazugewinn­en.

Italien hat das hinter sich: Eine hemmungslo­s populistis­che Koalition unter der „geistigen“Führung der ultrarecht­en Lega von Matteo Salvini treibt die EU nun in Sachen Migration und Flüchtling­sabwehr vor sich her.

Einen der Hauptgründ­e für all das konnte man beim Treffen der Verteidigu­ngs- und Außenminis­ter in Wien beobachten: 56 Minister und eine einzige widersprüc­hliche Kakofonie aus Forderunge­n und Attacken zu EUMaßnahme­n überschatt­eten alles.

Bizarrerwe­ise sagte die EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini, man brauche bei der Migration jetzt „Klarheit“und „Entschloss­enheit“. Es klang naiv. Sie selbst legte nicht den Ansatz einer Lösung vor – wie auch der öster- reichische EU-Ratsvorsit­z nicht. Die Kommission mit Präsident Jean-Claude Juncker hat noch immer nicht begriffen, dass das gemeinsame Europa zu zerbrechen droht, wenn nichts geschieht. Nur Einzelvors­chläge gibt es nach gut drei Dutzend EU-Gipfeln zum Thema mehr als genug.

Die meisten Bürger lässt das kalt. Viele fühlen sich im Stich gelassen, machen bei Wahlen ihr Kreuz bei radikalen rechten Parteien. Dasselbe droht in nur neun Monaten bei den EU-Wahlen. Bei einem der wichtigste­n Themen, der Migrations- und Asylpoliti­k, ist eine „gefährlich­e Leer- stelle“entstanden, wie die Süddeutsch­e Zeitung zur defensiven, ideenlosen Politik Merkels festhielt. Das gilt auch für die ganze EU.

Wieso also stellen Merkel, Juncker und auch Österreich­s Kanzler Kurz als EU-Ratsvorsit­zender, anstatt nur immer vom Grenzschut­z zu reden, nicht einen energische­n Zehnpunkte­plan zur Migration vor, um den gemeinsam zu kämpfen sich lohnt? So wie einst Helmut Kohl 1989 zur deutschen Wiedervere­inigung? Jene, die Europa zerstören wollen, könnte man damit stellen, zum Offenbarun­gseid zwingen. Worauf also warten?

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