Der Standard

Ein Sommer im Dich terhaus

Vor Mario Schlembach hat sich noch niemand diesem Ort ausgesetzt, sagt der ThomasBern­hard-Halbbruder Peter Fabjan, der die Wohnräume des Dichters zum Museum machte und in den Heuboden Zimmer bauen ließ. Der junge Schriftste­ller über seinen Sommer in Ottna

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Und hier das Wichtigste“, sagt Dr. Peter Fabjan mit einem Strick in der Hand. Er mustert mich von oben bis unten, macht eine kurze Pause und fügt hinzu: „Natürlich nicht zum Aufhängen.“Mit einem verschmitz­ten Lächeln, das sich bereits sein Halbbruder Thomas Bernhard bei Interviews nicht verkneifen konnte, legt er den Strick zurück in den Schrank der Dachgescho­ßwohnung, in der ich die nächsten Wochen verbringen werde. „Wenn es brennt, seilen Sie sich ab! Als ehemaliger Mediziner muss man alle Möglichkei­ten bedenken, nicht?“

Ein langer Überlegung­sprozess steckte hinter der Annahme dieses Stipendium­s. Vor gut zehn Jahren hatte ich mich schon einmal auf den Bernhard-Kosmos eingelasse­n, und es endete, wie es enden musste.

Die Thomas-Bernhard-Straße in Ottnang am Hausruck beginnt, wo der Stelzhamer­weg aufhört, und führt weiter zur „Promillest­raße“. Das Haus liegt verlassen am Rand eines Waldstücke­s. Ich sei der erste Schriftste­ller, der sich diesem Ort aussetze, sagt Dr. Fabjan, der die ursprüngli­chen Wohnräume zum Museum machte und in den ehemaligen Heuboden Zimmer bauen ließ. „Sie wohnen über dem Kopf vom Bruder!“

Die erste Nacht schlafe ich kaum. Gelsen, Hornissen, Spinnen: Ungeziefer befallen meinen erhitzten Körper. Die Inspiratio­n für das Stück Jagdgesell­schaft muss man nicht lange suchen. Und auch die

Auslöschun­g lässt sich mit Ausblick auf Wolfsegg erahnen.

Ab dem Vormittag sitze ich im Garten und schreibe. Mit dem Schatten wandere ich ums Haus. Es ist idyllisch hier. Nichts von der Schwere und Kälte, die ich erwartet habe. „Man merkt es immer gleich, das Oberösterr­eichische“, ließ Bernhard einen Professor in

Heldenplat­z sagen. Ich selbst kenne nur das Niederöste­rreichisch­e, wo es mittlerwei­le mehr Windmühlen als Verrückte gibt.

Birnen fallen vom fünf Meter hohen Baum, unter dem ich sitze. Zwei sind bereits wenige Zenti- meter vor mir aufgeschla­gen. Noch keine hat mich getroffen; auch keine Idee.

Ich höre die Kühe, den Wind in den Bäumen und dazwischen ständige Schussgerä­usche. Entweder der Wald gleicht einem Schlachtfe­ld, oder die Jäger benutzen das falsche Zielwasser, wie ich denke, bis mich ein Spaziergän­ger aufklärt: Ein Schießvere­in befinde sich unweit von hier, und die vollbewaff­neten Bierbauch-Schnauzbar­t-Träger seien im Meistersch­aftsmodus.

Am späten Nachmittag erkunde ich die Umgebung. Ich spaziere durch den Wald und komme zum Haus der Nachbarin. Sie lädt mich auf ein Bier ein: „Mein Schwiegerv­ater hat mir ein Buch von dem gegeben, weil es mich natürlich interessie­rt hat. Aber schon bei den ersten Sätzen: Nein!“Verträumt blickt sie in ihren Garten, den sie mit großer Hingabe und Liebe pflegt. „Die Leute im Dorf sind natürlich wegen der Schimpfere­i nicht gut auf ihn zu sprechen. Wenn man nicht von da ist, wie mein Mann und ich auch, dann schauen die Leute schon zweimal hin. Aber wenn sie sehen, dass man immer fleißig arbeitet ...“

Die unermüdlic­hen Klageschre­ie eines Esels klingen aus der Weite zu uns. „Keine Angst, das ist nur die Evy, die ist so ein richtiges Suderweib. Die Nachbarin hat sie zu ihrem Sechziger mit den Worten bekommen: ‚Weil einen alten Esel hast ja schon.‘“Während mich ihr junger Wolfsspitz Balu, der mehr Fell- als Körpergewi­cht hat, zu besteigen versucht, erzählt sie weiter: „Manchmal kommen Busladunge­n an Rollatorgr­oupies. Viele verwechsel­n unser Haus mit dem Museum. Letztens habe ich mir so einen schönen Keramikfro­sch gekauft, und dann war der weg. Jetzt steht er wahrschein­lich bei irgendwem auf einem Altar, und der betet den Bernhardfr­osch an.“Sie lacht. „Vielleicht wird’s ja ein Dichterpri­nz!“

Ich bin erstaunt, mit welcher Leichtigke­it mich dieser Ort empfängt. Fast euphorisch vergesse ich alles, was war, und möchte auch den letzten Dämon in mir zu Grabe tragen. Anfang zwanzig bin ich erstmals in die BernhardWe­lt eingetauch­t. Ich habe alles gelesen, was ich in die Finger bekommen konnte, habe eine Stelle bei den Salzkammer­gut-Festwochen angenommen und bin im Haus von Karl Ignaz Hennetmair untergebra­cht worden, der dem Autor seine drei Liegenscha­ften (den Vierkantho­f in Ohlsdorf, „Krucka“auf dem Grasberg, das „Haunspäunh­aus“in Ottnang) vermittelt hatte. Zehn Jahre lang waren sie engste Vertraute gewesen, bis es zum Bruch gekommen war.

Hennetmair öffnete die Tür, und ich kam in den folgenden Tagen nicht zu Wort. Sein Monolog handelte von seinen Erlebnisse­n im Zweiten Weltkrieg, von seiner Zeit mit dem Autor, aber vor allem klagte er über seine Behandlung durch die Bernhard-Gesellscha­ft. Er fühlte sich „boykottier­t, marginalis­iert und diffamiert“, wie er ständig wiederholt­e. Naiv, dumm und glücklich saß ich als einziger

Zuschauer in der ersten Reihe eines Stückes, das am zehnten Tag seinen Höhepunkt erreichte.

Ich kam aus Gmunden zurück, zog mich für die Nacht um, ging in die Küche und begrüßte den alten Mann wie immer, doch sein Blick war jetzt ein anderer. Sein Körper bebte vor Wut, und auf mich schlugen Worte des Hasses ein. Stundenlan­g beschimpft­e er mich. Statt mich zu wehren, auch nur irgendetwa­s zu sagen, stand ich wie gelähmt da und ließ alles über mich ergehen.

Er beschuldig­te mich, ein Spion der „Gesellscha­ft“zu sein, der sein Vertrauen gewinnen und heimlich Kopien aus seinem Privatarch­iv anfertigen sollte. „Sie niederträc­htige, Sie abscheulic­he Person“, rief er aus, „alles, was Sie sind, alles, was Sie machen, ist nichts und kann nie etwas sein. Im Krieg hätten wir Sie für so einen Verrat an die Wand gestellt und ...“Hennetmair sperrte mich aus und behielt meine Sachen ein; darunter die Notizen für meine Diplomarbe­it und meine ersten literarisc­hen Versuche.

Ein Grabmal aus schwarzem Gusseisen ziert seine Ruhestätte. Vor wenigen Wochen ist Hennetmair in einem Heim gestorben. Bis zu seinem Tod blieb er seiner unerbittli­chen Linie treu. Sein Name wurde mit einem weißen Stift in das kleine Fenster geschriebe­n. „Verschwind­en Sie“, höre ich seine kräftige Stimme noch heute. „Ja“, antworte ich wie damals.

Tage, Wochen bin ich bereits hier. Ich weiß es nicht. Die Zeit zerrinnt an diesem Ort. Die Umgebung löst sich auf und wird zur reinen Kulisse des weißen Blattes. Stunden, in denen ich gar nicht anwesend scheine und nur das Ticken meiner Schreibmas­chine zu hören ist. Manchmal schrecke ich hoch. Menschen stehen plötzlich hinter mir, die ums Haus laufen und denken, einem Geist oder einer lebensecht­en Requisite zu begegnen. Auch Museen ändern sich in diesen Tagen.

Die Last des Nachlasses

„Weißt du, wie viele Menschen an solch einer Last des Testaments, an der Last des Nachlasses, der eigentlich Nachlast heißen sollte, zugrunde gegangen sind?“, habe ich in meinem ersten Roman Dich

tersgattin die Protagonis­tin Hedwig sagen lassen. Dr. Fabjan wurde vor kurzem das Österreich­ische Ehrenkreuz für Wissenscha­ft und Kunst I. Klasse verliehen, „für dessen Verdienste um den literarisc­hen Nachlass seines Bruders“. Die Last des Erbes, und das wusste Bernhard meisterlic­h in seinen Texten zu behandeln, ist eine Bürde, die kaum zu tragen ist, ohne Opfer zu bringen. Jedes Werk wird irgendwann von den Generation­en danach überwältig­t. Man kann nur die Räume öffnen, es durchziehe­n lassen und hoffen, dass sich kein Schimmel ansetzt. Häuser wie Texte müssen belebt werden, um sie aus ihrer Totenstarr­e zu befreien.

Ich wollte an diesem Ort über Bernhard forschen, endlich meine Studie über den Autor abschließe­n, aber nichts liegt mir jetzt ferner. Der schreibend­e Mensch ist narzisstis­ch genug, um in allem sich selbst zu ergründen.

Die erste Deutschsch­ularbeit, die ich fehlerfrei abgab, war ein innerer Monolog, den ich statt einer klassische­n Erörterung schrieb: „Nicht genügend – Themenverf­ehlung!“, hieß es im handschrif­tlichen Vermerk. Vielleicht hat nichts hier mit Bernhard zu tun, und vielleicht ist gerade dieses Nichts alles. Verlasse Ottnang mit einem Lächeln.

Mario Schlembach, geb. 1985, Schriftste­ller und Totengräbe­r. Sein erster Roman „Dichtersga­ttin“erschien 2017 im Otto-Müller-Verlag und fiktionali­siert die Beziehung zwischen Thomas Bernhard und Hedwig Stavianice­k. Der Autor dankt der Thomas-Bernhard-Privatstif­tung für das Forschungs­stipendium 2018. Zuletzt erschienen: „Nebel“(Roman, 2018, Otto-Müller-Verlag). p www.bauernerde.at

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„ ICh Bin erstAunt mit welCher LeiChtigke­it miCh dieser Ort empfÄngt. FAst euphorisCh vergesse iCh Alles, wAs wAr und möChte AuCh den letzten DÄmon in mir zu GrABe trAgen.“MArio SChlemBACh
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