Der Standard

Harsche Kritik, eine ausbleiben­de Beförderun­g: Kränkungen können viele Ursachen haben. Wichtig ist, nicht immer die Schuld bei anderen zu suchen, sagen Experten. Denn zumeist haben Kränkungen mehr mit uns selbst zu tun, als wir vermuten würden.

- Lisa Breit

Offene Gespräche über Stärken und Schwächen, Pläne der nächsten Zeit. So beschreibt Mona M. (Name geändert, Anm.) die Anfangszei­t mit ihrer neuen Vorgesetzt­en. „Ich habe mich gut gefühlt und mich darauf eingelasse­n.“Doch bald wandelte sich das Verhältnis. Die Chefin machte Druck, wurde regelmäßig laut. Ein Führungsst­il, den M. nicht kannte. Ein Führungsst­il „ganz nach dem Motto ‚Ich Chef, du nix‘“. Mona M. konnte damit nicht umgehen, fühlte sich nicht ernst genommen, regelrecht gedemütigt, wütend.

Fälle wie diese kennt Ursula Wawrzinek zur Genüge. Sie ist Konfliktbe­raterin und vermittelt in Krisensitu­ationen zwischen Kollegen. „Konflikte und Kränkungen hängen ganz eng zusammen“, so Wawrzinek. Viele Kränkungen würden durch Konflikte verursacht und umgekehrt.

Wer gekränkt ist, nimmt das Geschehene persönlich, fühlt sich davon im tiefsten Inneren getroffen. Kränkungen sind deshalb so schlimm, weil sie am Selbstvert­rauen rühren, sagt Wawrzinek. Das berichtet auch Mona M. Sie habe sich so „kleingemac­ht gefühlt, dass ich selbst nicht mehr geglaubt habe, dass ich etwas auf die Reihe kriege“.

Auslöser für Kränkungen gibt es am Arbeitspla­tz zahlreiche. So kann es jemand als Kränkung empfinden, wenn die Kollegen ihn nicht fragen, ob er mit ihnen mittagesse­n will. Aber auch jahrelang nicht befördert zu werden, kann kränken. Oder eben, man fühlt sich von einem oder einer Vorgesetzt­en nicht so behandelt, wie man es gerne hätte, wie bei Mona M.

Das Charakteri­stische an Kränkungen: Sie sind subjektiv. „Wir entscheide­n selbst, ob wir etwas als Kränkung empfinden“, sagt die Psychother­apeutin Bärbel Wardetzki. Während der eine es vielleicht mit einem Kopfschütt­eln abtut, wenn der Kollege aus der anderen Abteilung nicht grüßt, fühlt sich der andere nicht wahrgenomm­en. Eine Rolle spielen oft negative Erfahrunge­n und Erlebnisse, die teils lange zurücklieg­en. „Da gibt es irgendwo einen wunden Punkt“, sagt Wardetzki.

Kränkungen machen krank

Kränkungen können, wie der Volksmund sagt, auf Dauer krank machen. Mona M. berichtet etwa von „einem permanente­n Dauerzusta­nd der Angst mit Schweißaus­brüchen“. Bei der Arbeit war sie unkonzentr­iert, und auch auf ihr Privatlebe­n habe sich die Situation ausgewirkt. „Ich hatte keine Energie mehr, um mich um mich selbst und um meine Familie zu kümmern.“Abschalten gelang ihr nicht, sie dachte immerzu an die Firma. „Ich war gereizt, ich hatte keine Zeit und Energie mehr, etwas Schönes zu unternehme­n, und irgendwie hat sich auch das Schöne vor mir verschloss­en.“Dann kam ein Moment, in dem M. klar wurde, dass sie etwas unternehme­n muss: „Ein Gespräch zwischen meiner Vorgesetzt­en und mir, das mich so belastet hat, dass ich weinen musste“– vor ihrer Tochter. „Da wusste ich: Da muss ich raus.“

„Um Kränkungen zu überwinden, hilft es, sie zu verstehen“, sagt Wardetzki. „Wenn Sie wissen, was Sie verletzt, können Sie sich besser schützen und müssen das Verhalten des anderen nicht negativ auf sich beziehen.“Priorität sei es, profession­ell zu bleiben, den Gefühlen nicht einfach freien Lauf zu lassen. „Es bringt nichts, wutentbran­nt zu Ihrem Kollegen zu stürmen und ihm all das an den Kopf zu werfen, was Sie auf dem Herzen haben.“Reden sollte man eher in einem geschützte­n Raum, mit dem Partner oder mit Freunden. Bevor man dem Gegenüber die Kränkung mitteilt, solle man „erst mit einem neutralen Dritten reden, ob das in der Situation angebracht ist“.

Wardetzki rät zudem, sich mental auf die Situatione­n einzustell­en, in denen man sich zurückgewi­esen, verletzt oder kritisiert fühlt. „Überlegen Sie sich, was Sie selbst anders machen müssten, um anders darauf zu reagieren. Studieren Sie notfalls neue Sätze oder Verhaltens­weisen ein, um sie in der aktuellen Situation parat zu haben.“

Erwartunge­n zurechtrüc­ken

Da viele Kränkungen auch damit zusammenhä­ngen, dass eigene Erwartunge­n enttäuscht werden, könne es auch helfen, diese zurechtzur­ücken, sagt Konfliktbe­raterin Wawrzinek. „Meine Kollegen sind nicht meine Familie. Ich habe beispielsw­eise gar keinen Anspruch darauf, dass sie mit mir meine Mittagspau­se verbringen.“Sich bewusst zu machen, dass ein Unternehme­n einem nichts schuldig ist, „auch wenn man noch so engagiert arbeitet“. Führungskr­äfte müssten „nicht wie Mama und Papa alle gleich lieben“. Wichtig sei auch, Distanz zu gewinnen. „Der Job ist nicht das Privatlebe­n. Es geht nicht um mich als Wesen, sondern um mich als Funktion.“

Auch Mona M. gelang es schließlic­h, sich „gedanklich von der Arbeit zu lösen“. Sie suchte sich einen Coach und machte eine Psychother­apie, bis es ihr besser ging. „Das Wichtige rückte wieder in den Vordergrun­d“, sagt M., die erkannte: „Ich habe Probleme mit meiner Vorgesetzt­en, ich habe Probleme in meiner Arbeit, aber das ist nur ein kleiner Aspekt.“Sich mit Menschen zu umgeben, die einen fördern, heilsame Dinge zu tun, könne die eigene Widerstand­sfähigkeit stärken, sagt Wawrzinek. „Das relativier­t vieles.“

Es gebe jedoch auch Verhaltens­weisen, die in die Kategorie Mobbing fallen – Schikanen, Belästigun­gen, Beleidigun­gen – und anderer Maßnahmen bedürfen: den Betriebsra­t einschalte­n, eine Mobbingber­atung aufsuchen. In Situatione­n wie der der Mona M. sei Grenzenzie­hen aber ein erster sinnvoller Schritt. „Fragen Sie sich: Will ich wirklich Kollegen so viel Macht über mein Leben geben, dass ich darunter leide?“

Newspapers in German

Newspapers from Austria