Der Standard

Zahl der Schulverwe­igerer steigt

Immer mehr Eltern wollen ihre Kinder zu Hause unterricht­en – oder gar nicht. Die Bundesstel­le für Sektenfrag­en stellt einen erhöhten Einfluss von rechtsesot­erischen Bewegungen auf die Szene fest.

- Vanessa Gaigg

Nicht auf alle Kinder und Jugendlich­e wartet dieser Tage wieder die Schulbank. Immer mehr werden von ihren Eltern von der Schule abund zum häuslichen Unterricht angemeldet. Denn in Österreich kann die Schulpflic­ht auch im häuslichen Unterricht erfüllt werden. Seit 2012/13 ist die Gruppe um etwa 500 Kinder gewachsen. 2320 waren es im Schuljahr 2017/18. Für das aktuelle Schuljahr liegen noch keine Daten vor.

Die Szene ist inhomogen. Eine in den vergangene­n Jahren wachsende Untergrupp­e ist diejenige der „Freilerner“beziehungs­weise „Unschooler“: Bei ihnen gibt meist keinen fixen Tagesablau­f, keinen Lehrplan und keine konkreten Bildungszi­ele. Das „Netzwerk der Freilerner“, bei dem viele Fäden Letzterer zusammenla­ufen, beschreibt die Idee gegenüber dem Standard folgenderm­aßen: „Selbstbest­immtes Lernen ist keine Methode oder Konzept, sondern das Ergebnis einer respektvol­len Haltung gegenüber jedem einzelnen jungen Menschen. Der junge Mensch äußert selbst klar, auf welche Art und Weise und wo er sich bilden will.“

Eine Überprüfun­g des Bildungser­folgs gibt es einmal pro Jahr per Externiste­nprüfung in einer regulären Schule. Eine kleine Gruppe ist seit einigen Jahren dazu übergegang­en, diese gänzlich zu verweigern. Damit begehen sie eine Verwaltung­sübertretu­ng, für die seit 1. September laut Wiener Stadtschul­rat eine Strafe in der Mindesthöh­e von 110 Euro und bis zu 440 Euro festgelegt wurde. Außerdem werde als Konsequenz im darauffolg­enden Schuljahr der häusliche Unterricht nicht genehmigt.

„Viele Eltern haben ganz spezielle Ideen davon, wie das eigene Kind unterricht­et werden soll“, sagt Ulrike Schiesser von der Bundesstel­le für Sektenfrag­en. Teile der Szene rund um häuslichen Unterricht sind in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus der Beratungss­telle gerückt, denn immer mehr streifen an der rechten Esoterik- und Aussteiger­szene an. „Das ist zum Teil hoch ideologisc­h aufgeladen“, sagt Schiesser.

Im Jahresberi­cht der Bundesstel­le für Sektenfrag­en wird festgehalt­en, dass eine „Konjunktur von Esoterik auf eine stetig anwachsend­e Kritik am Schulsyste­m“trifft. Vor allem Angebote aus Russland spielen eine Rolle. Viele sind inspiriert von der sogenannte­n „Anastasia“-Lehre, einer kruden Mischung aus Fantasiege­schichten und Verschwöru­ngstheorie­n mit teilweise antisemiti­schen Anspielung­en.

Bezug genommen wird in den „Anastasia-Büchern“auf die russische „Schetinin“-Schule, die Schiesser als „militarist­isch-nationalis­tisch“beschreibt. Nach diesem Konzept soll es möglich sein, mit fragwürdig­en Methoden innerhalb kürzester Zeit Maturanive­au zu erreichen. Überdies wird Kampfsport gelehrt. Überschnei­dungen gibt es außerdem zur Staatsverw­eigerersze­ne.

Auch diese Menschen drängen in die Freilerner­szene. Wobei die meisten Freilerner-Familien ihre Kinder in keine Schule – auch in keine private – schicken. Aber mit Teilen dürfte ein Austausch herrschen. Denn viele Freilerner praktizier­en ein „extremes Aussteiger­leben“, sagt Schiesser. Nicht alle Eltern kommen mit gefestigte­n ideologisc­hen Motiven zum Entschluss, ihre Kinder nicht mehr in die Schule zu schicken.

Fehlende Debatte

Doch auf eine kritische Auseinande­rsetzung innerhalb der Szene deutet nichts hin. Auf Anfrage des Standard an das Freilerner­Netzwerk heißt es, man solle sich bezüglich den esoterisch­en Bewegungen an Vertreter wenden, die darüber „besser informiere­n“könnten. Von jedweden staatsfein­dlichen Aktivitäte­n distanzier­e man sich. Doch vor zwei Jahren referierte Aussteiger Joe Kreissl, der mit zweifelhaf­ten Aussagen zum Holocaust auffiel und sich per „Einschreib­en“von der Republik Österreich verabschie­dete, bei einem Treffen aus dem Freilerner-Umfeld. Ein ähnliches Schreiben findet man online von einem Mitglied des Leitungste­ams des Netzwerks. Ebenfalls geladen war Verschwöru­ngstheoret­ikerin Monika Donner. Diesen Sommer referierte die Leiterin der „WingsSchul­initiative“im Waldvierte­l. Auf deren Website ist offen der Bezug zur „Schetinin“-Schule angeführt.

Die Schulen, an denen die Externiste­nprüfungen abgelegt werden, dürfen sich die Familien selbst aussuchen. Hier strengere Regeln einzuziehe­n ist seitens der Politik nicht geplant. Eine Kleinigkei­t hat sich seit 1. September aber geändert: Es gibt keine Beschränku­ng des Zeitraums mehr, innerhalb dessen der häusliche Unterricht untersagt werden kann. Bisher hatten die Behörden einen Monat dafür Zeit. Ob eine Gefährdung des Kindeswohl­s vorliegt, wird laut Bildungsmi­nisterium „von Fall zu Fall“geklärt. Ein allgemeing­ültiges Verfahren gebe es nicht.

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