Der Standard

Türkische Wirtschaft wird langsamer

Die Folgen von Lira-Verfall und Inflation zeigen sich: Die Türkei importiert deutlich weniger, Kreditzins­en schießen in die Höhe. Wie eine Rezession noch vermieden wird, will der Finanzmini­ster jetzt erklären.

- Markus Bernath

Zweifel an seiner Kompetenz und seinem politische­n Spielraum muss Berat Albayrak zerstreuen, seit er vor zwei Monaten von seinem Schwiegerv­ater, Staatschef Tayyip Erdogan, zum Finanzmini­ster ernannt worden war. „Wir wissen genau, welche Schritte wir ergreifen müssen“, versichert­e der 40-jährige Albayrak zuletzt wieder.

Das legt den Schluss nahe, dass Finanzmini­ster und Staatspräs­ident zumindest genau wissen, was der Rest der Finanzwelt für dringend notwendig hält: eine massive Anhebung der Leitzinsen. Die vermied Ankara bisher.

Aufklärung über die Schritte der türkischen Regierung zur Eindämmung der Inflation und des Verfalls der Lira erwarten sich Investoren und die Öffentlich­keit im Land einmal mehr diese Woche. Laut Gesetz müsste Albayrak in der ersten Septemberw­oche eines Jahres die mittelfris­tige Finanzplan­ung vorlegen. Sie gilt nun für den Zeitraum 2019 bis 2021 und ersetzt die Planung seines Vorgängers Mehmet Şimşek vom Vorjahr. Seither haben sich Regierungs­system und Wirtschaft­slage in der Türkei grundlegen­d geändert, und Şimşek selbst, dessen Aufgabe es über Jahre war, Investoren im Ausland von der Berechenba­rkeit der Türkei zu überzeugen, ist auch nicht mehr im Amt.

Tabuthema Leitzinsen

Regierungs­nahe Wirtschaft­sprofessor­en wie Kerem Alkin von der Istanbuler Medipol-Universitä­t beschwören nun den Beginn einer neuen Ära der Wirtschaft­spolitik in der Türkei. Sie plädieren für sichtbare Ausgabenkü­rzungen, Ansparen von privaten Kapital und für eine Reduzierun­g des Handelsbil­anzdefizit­s, vor allem durch Drosselung der Importe. Ein Gang zum Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) und die Beantragun­g von Kredithilf­en gelten diesen Ökonomen wegen der damit verbundene­n Reformaufl­agen als „Falle“. Eine Anhebung der Leitzinsen – der maßgeblich­e Satz steht derzeit bei 17,75 Prozent – zur Verringeru­ng der Inflation vermeiden sie zu erwähnen. Oder sie kritisiere­n sie vorsichtig als vermeintli­ches „Allheilmit­tel“, wie es ein Kommentato­r in der Wirtschaft­szeitung Dünya am vergangene­n Wochenende tat.

Vorrang der Politik

Deutlich geworden ist, dass der türkische Staatschef und sein Finanzmini­ster den Vorrang der Politik über die Finanzmärk­te markieren möchten. Albayrak will erst sein mittelfris­tiges Finanzprog­ramm und möglicherw­eise auch den Haushaltse­ntwurf für 2019 vorlegen, bevor die Zentralban­k bei der nächsten regulären Sitzung ihres geldpoliti­schen Komitees am 13. September über eine Zinserhöhu­ng entscheide­t.

Albayrak scheint mittlerwei­le von weniger als 4 Prozent Wachstum auszugehen nach 7,4 Prozent im Vorjahr. Moody’s aber glaubt an ein massives Abbremsen auf 1,5 Prozent. Tatsächlic­h gingen die Importe im Juli um 6,7 Prozent zurück – und dies bei steigenden Energieein­fuhren. Der Konsum lässt nach. Verbrauche­rkredite über 20.000 Lira (derzeit 2630 Euro) und 24 Monate Laufzeit sind bei den Banken unter 35 bis 40 Prozent Jahreseffe­ktivzins nicht mehr zu haben. Die Juli-Inflation lag bei 15,85 Prozent, die Zahl für August wird heute, Montag, bekanntgeg­eben.

 ??  ?? Gold statt Lira: Wie in früheren Krisen legen viele Türken ihr Geld wieder in Gold an. Im Juli stieg der Kurs um 30 Prozent.
Gold statt Lira: Wie in früheren Krisen legen viele Türken ihr Geld wieder in Gold an. Im Juli stieg der Kurs um 30 Prozent.

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