Der Standard

Frankreich­s militante Veganer

Militante Veganer haben in Frankreich erneut eine Fleischhau­erei angegriffe­n. Im Land des Savoir-vivre entfachen sie einen neuen Kulturkamp­f der kulinarisc­hen Art.

- Stefan Brändle aus Paris

Épinay-sur-Orge ist wirklich nicht das, was man als den Nabel der Welt bezeichnen würde. Doch nun ist der gesichtslo­se Pariser Vorort auf einen Schlag in die nationalen Schlagzeil­en geraten. Genauer gesagt seine Fleischhau­erei: Am vergangene­n Wochenende, um vier Uhr in der Früh, wurde sie von einem halben Dutzend vermummter Leute angegriffe­n. Sie warfen Steine ins Schaufenst­er und sprayten in gelber Farbe: „Stop spécisme“– Halt dem Speziesism­us.

Fleischerm­eister Cédric Neveu versuchte vergeblich, den Tätern nachzustel­len, nachdem ihn die verdächtig­en Geräusche aufgeweckt hatten. Er wusste sofort, was los war: Seit längerem werden in Frankreich immer wieder Fleischhau­ereien attackiert und zum Teil verwüstet. Die Graffitis lassen keinen Zweifel daran, dass die Vandalenak­te radikalen Veganern zuzuschrei­ben sind. Sie bezeichnen sich als „Antispezie­sisten“, das heißt als Kämpfer wider die Diskrimini­erung einzelner Tierarten (Spezies) durch die fleischver­zehrenden Menschen.

Angriffe seit dem Vorjahr

Die ersten Attacken lancierten sie in Nordfrankr­eich im Jahr 2017. Zielscheib­en waren nicht nur Fleischhau­ereien, sondern auch Fischgesch­äfte und Restaurant­s, die vor allem Fleischger­ichte anbieten. In Lyon wurde sogar eine Käserei beschmiert, wobei ein Graffiti lautete: „Milch ist Vergewalti­gung“.

Besonders viel Verständni­s ernteten diese Aktionen unter den Franzosen mitnichten. Die französisc­he Küche ist nun einmal reich an Fleisch; davon zeugen Speisen wie Filet mignon, Cordon bleu und Lyoner Wurst, aber auch Lammgigot (Keule), Hasenterri­nen oder Gänseleber. Diese Delikatess­en sind fester Bestandtei­l der französisc­hen Gastronomi­e – und damit des Nationalst­olzes.

Militante Tierschütz­erin

Im März eröffnete die Justiz zudem ein Strafverfa­hren gegen eine militante Tierschütz­erin. Sie hatte nach dem Terroransc­hlag auf einen Supermarkt bei Carcassonn­e durch Jihadisten getwittert, dem dabei getöteten Fleischhau­er sei „Gerechtigk­eit“widerfahre­n, da er sich gegenüber den Tieren selbst wie ein „Mörder“verhalten habe.

Nun wurde den Franzosen bewusst, wie radikal die Antispezie­sisten denken. In den Internetfo­ren werden sie oft als Spinner abgetan, begleitet von der Frage, ob Frankreich­s 15.000 Fleischhau­ereien bald Polizeisch­utz bräuchten. Deren sieben wurden im Frühsommer in der Gegend der nordfranzö­sischen Metropole Lille Ziel neuer Anschläge. Auf ihre Schaufenst­er wurden Beutel mit falschem Blut geworfen. Der Fleischere­iverband protestier­te dagegen, dass „einige Personen Terror säen“, und appelliert­e an Innenminis­ter Gérard Collomb. Nach einem Treffen im Innenminis­terium ließ er den besorgten Fleischhau­ern Hilfe und Schutz zusagen, auch wenn er keine konkreten Maßnahmen ergriff. Alle Beteiligte­n setzten darauf, dass sich die Lage an der Fleischfro­nt über den Sommer vielleicht von selbst beruhigen würde.

Der neue Anschlag auf die Fleischhau­erei in Épinay-surOrge macht diese Hoffnung zunichte. Der „Fleischkri­eg“, wie er längst genannt wird, geht nach der Sommerpaus­e weiter. Die Antispezie­sisten dürften nicht sehr zahlreich sein. Ihre Sympathisa­nten verweisen aber darauf, dass Frankreich seit der Revolution von 1789 eine ausgesproc­hene Konfliktku­ltur aufweise; wer etwas erreichen wolle, komme nur mit spektakulä­ren Methoden zum Ziel.

Allerdings distanzier­en sich selbst kompromiss­lose Tierschütz­er von den Attacken auf die Fleischhau­ereien. Diese Gewaltakte leisteten der ganzen Bewegung einen schlechten Dienst, meint etwa die Vereinigun­g L214, die gegen die Tötung von täglich drei Millionen Tieren in Frankreich kämpft und sich mit Videoenthü­llungen aus Schlachthö­fen einen Namen gemacht hat. Das Vorgehen der Antispezie­sisten sei zwar verfehlt, stelle aber auch eine Reaktion auf die mächtige Lobby der Rinderzüch­ter und Jäger dar. Die habe erst vergangene Woche durchgeset­zt, dass ein Veganerfes­tival in der nordfranzö­sischen Stadt Calais im letzten Moment abgesagt worden sei.

Zwischen den Fronten eingekeilt, nehmen in Frankreich allerdings immer mehr Wirte und Köche Rücksicht auf die neuen veganen Sitten. Kaum ein Feinschme- ckerlokal führt in Frankreich heute noch eine Speisekart­e ohne fleischlos­es Gericht. Neue und oft sehr kreative Angebote – wie sogar ein Camembert ohne Milch – bereichern die Gastronomi­e im ganzen Land.

Vegane Steaks

Auch die attackiert­e Fleischhau­erei in Épinay-sur-Orge bietet, was die Antispezie­sisten wohl nicht wussten, vegane Steaks an. „Jeder soll essen können, was er will“, sagte ihr Chef Cédric Neveu. Am ersten Tag nach der Attacke kamen mehr Kunden als sonst in sein Geschäft – um aus Solidaritä­t mit dem Fleischhau­er besonders viele Fleischwar­en zu kaufen.

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 ??  ?? Eine Aktivistin des veganen Vereins Life France im alten Hafen von Marseille in Südfrankre­ich bei einer Demonstrat­ion gegen die Ausbeutung von Meerestier­en.
Eine Aktivistin des veganen Vereins Life France im alten Hafen von Marseille in Südfrankre­ich bei einer Demonstrat­ion gegen die Ausbeutung von Meerestier­en.

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