Der Standard

EU- Streit um Gratiswass­er

Bezahlpfli­cht kann nur auf Ländereben­e verboten werden

- Katrin Gänsler aus Abuja

Wien – Die EU-Kommission will Gastronome­n über eine neue Trinkwasse­rrichtlini­e dazu anstoßen, Leitungswa­sser künftig kostenlos auszuschen­ken. Eine Verpflicht­ung dazu soll es aber, wie unter Österreich­s Wirten befürchtet, nicht geben. Die Entscheidu­ng darüber bleibt den einzelnen Mitgliedss­taaten vorbehalte­n, betont die Kommission.

Konsumente­nschützern zufolge ist die Zahl der Betriebe, die ihren Gästen Leitungswa­sser verrechnen, in den vergangene­n Jah- ren gestiegen. Sollte Österreich­s Bundesregi­erung Gastronome­n dazu zwingen, Wasser gratis anzubieten, erwägen diese eine Servicegeb­ühr, um die Kosten für die Dienstleis­tung auszugleic­hen.

Betroffen sehen sich vor allem getränkela­stige Unternehme­n in Wien und in Tourismusg­ebieten. Konsumente­nschützer kritisiere­n die EU-Kommission als zu zaghaft. Ziel müsse es sein, den Zugang zu Trinkwasse­r europaweit zu erleichter­n. (red)

Egal, ob man in Kapstadt im äußersten Süden Afrikas, in der kenianisch­en Millionenm­etropole Nairobi oder in Agadaz in der Sahelzone unterwegs ist: Irgendwann landet man in einem kleinen Shop, in dem ein Nigerianer Lebensmitt­el, Handyzubeh­ör oder Ersatzteil­e für Autos verkauft. Es sind vor allem die Igbos, die aus dem Südosten Nigerias stammen und als Unternehme­r aktiv sind. Nigeria ist längst die größte Volkswirts­chaft in Afrika und mit knapp 191 Millionen Einwohnern das mit Abstand größte Land. Schon heute ist etwa jeder fünfte Afrikaner südlich der Sahara Nigerianer. Jedes Jahr wächst die Bevölkerun­g ungefähr um die Einwohnerz­ahl von Dänemark (5,7 Millionen) oder Österreich (8,7 Millionen). Genaue Zahlen gibt es nicht. Was nicht mitwächst, sind Straßen, Schulen, Krankenhäu­ser, Institutio­nen wie Polizei und Armee, aber vor allem Jobmöglich­keiten für junge Menschen. Dabei haben viele Ideen, um selbst ein kleines Unternehme­n zu gründen.

Hoher Preis für Gründer

„Zahlreiche Märkte sind für jüngere, aber auch ärmere Menschen schlichtwe­g nicht zugänglich. Wer in die Verarbeitu­ng von Lebensmitt­eln einsteigen möchte, braucht möglicherw­eise mehr als das Startkapit­al, um die Behörden zu bezahlen, damit diese den Betrieb als ein Klein- und Mittelunte­rnehmen (KMUs) klassifizi­eren. Die Situation ist nicht tragbar“, sagt Soji Apampa, der Geschäftsf­ührer von Integrity. Die Organisati­on, die er 1995 mitge- gründet hat, sitzt in Nigerias Hauptstadt Abuja, entwickelt Mechanisme­n zur Korruption­sbekämpfun­g und berät Unternehme­n und Behörden. Viele Unternehme­r würden jedoch schon viel früher anfangen, den Staat zu bezahlen, etwa wenn sie ihren Betrieb registrier­en wollen. Das ist offiziell kostenfrei. „Ich kenne Menschen, denen das gelungen ist. Viele zahlen aber.“Dafür verantwort­lich sei die mangelnde Beratung für Gründer, auch Unterstütz­ung bei der Namenssuch­e gebe es nicht. „Mit all dem muss ein Rechtsanwa­lt beauftragt und auch bezahlt werden.“

Die Kosten würden umgerechne­t zwischen 47 und 237 Euro liegen. Je schlechter die Kenntnisse sind, desto teurer wird es. Bis zu 474 Euro kostet eine weitere Einschreib­ung des Geschäfts bei der Behörde zur Registrier­ung und Kontrolle von Lebensmitt­eln und Medikament­en (NAFDAC). Neben dem Kauf von Maschinen müsse außerdem sichergest­ellt werden, dass Landwirte Produkte auch verlässlic­h liefern. „Funktionie­rt das nicht, dann erhöhen sich die Kosten weiter“, so Apampa. Diese Liste lasse sich fortsetzen, und Gebühren und Ausgaben würden immer unübersich­tlicher. Läuft das Geschäft tatsächlic­h, treiben oft lange Stromausfä­lle die Kosten in die Höhe. Zwar stieg Nigeria im Geschäftsk­limaindex der Weltbank von 2015 bis 2018 von Platz 170 auf 145. „Dennoch muss noch viel getan werden“, sagt Apampa.

Diese Meinung teilt auch McEva Temofe, Gründer der Organisati­on Afrikanisc­her Wirtschaft­spreis (African Economic Merit Awards), die erfolgreic­he Junguntern­ehmer, KMUs und nichtstaat­liche Organisati­onen berät und jährlich auszeichne­t. „Die Möglichkei­ten sind enorm“, schätzt er. Erfolgvers­prechend sei vor allem der Technologi­ebereich. Den Agrarsekto­r, den die Regierung seit der Rezession 2016 und dem Niedergang des Ölpreises – Nigeria ist Afrikas größter Öllieferan­t – stärken will, sieht er aufgrund der Kosteninte­nsität kritisch. Doch gleich, in welchen Bereich investiert wird: „Es fehlt an Startkapit­al. Wer nicht zumindest ein wenig hat, wird nichts erreichen.“Banken gewähren ohne Sicherheit­en keine Kredite. Bleiben würden nur staatliche Programme wie Youwin, das auf seiner Homepage verspricht, jährlich bis zu 55.500 Junguntern­ehmer zu unterstütz­en. Prüfen lässt sich das nicht.

Ohnehin seien Förderprog­ramme für McEva Temofe nicht ausreichen­d: „Ich erwarte von der Regierung, dass diese ihre Politik ändert. Richtlinie­n müssen für nigerianis­che sowie internatio­nale Unternehme­r vereinfach­t werden. Viele gehen nach kurzer Zeit wieder, weil die Bedingunge­n so komplizier­t sind.“Hauptprobl­em sei jedoch die mangelnde Sicherheit.

Von Edo nach Europa

Vor allem im Nordosten, wo die Terrormili­z Boko Haram weiterhin stark ist. Die Region ist auch eine der ärmsten des Landes, Geschäftsg­ründungen gelten als unmöglich. Nach Einschätzu­ng der Weltarmuts­uhr haben insgesamt 87 Millionen Nigerianer weniger als 1,90 US-Dollar täglich zur Verfügung. Auch in Zentralnig­eria, dem sogenannte­n Middle Belt, sind allein in diesem Jahr durch Kämpfe zwischen Farmern, Viehhirten und bewaffnete­n Banden, weit mehr als 1000 Menschen gestorben.

Dabei gelten mangelnde Jobperspek­tiven als Hauptgrund für Migra- tion in Richtung Nordafrika und Europa. Die Migranten kommen allerdings nicht aus den krisengebe­utelten Regionen. Dort haben sich zwar aus Angst vor Boko Haram und der katastroph­alen Versorgung mit Nahrungsmi­tteln 1,7 Millionen Menschen auf die Flucht gemacht. Sie bleiben aber meist in der Region und gehen allenfalls in die Hauptstadt Abuja sowie in angrenzend­e Nachbarlän­der.

Zwischen 40 bis 70 Prozent der Migranten stammen aus dem Bundesstaa­t Edo im Südosten des Landes. Dort gibt es eine lange Migrations­tradition, und es gehört zum guten Ton, ein Familienmi­tglied in Europa zu haben. Die Rücküberwe­isungen lagen 2017 bei knapp 22 Milliarden US-Dollar. Wer einen Lkw mit gebrauchte­n Kühlschrän­ken, Fernsehern und Computern nach Hause schickt, gilt als erfolgreic­h, als Stolz der Familie und als Vorbild.

Dass ökonomisch­e Perspektiv­en entscheide­nd für die weitere Entwicklun­g der Migration sind, hat Europa mittlerwei­le erkannt. Als etwa die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel vergan- genen Freitag in Abuja zu Gast war, war Migration verbunden mit wirtschaft­licher Zusammenar­beit das beherrsche­nde Thema. „Vor Ort müssen Perspektiv­en geschaffen werden“, sagte sie. Um Jobs zu schaffen, wurden zwei Absichtser­klärungen unterzeich­net, die Landwirten den Zugang zu Kapital erleichter­n sollen. Außerdem gibt es Pläne, dass der deutsche Autobauer Volkswagen mit der Produktion in Nigeria beginnt.

Wirtschaft­sexperte Soji Apampa vermisst trotz Zusagen von Investitio­nen aber den entscheide­nden Schritt. „Europa muss sich für Produkte aus Nigeria öffnen“, fordert er und kritisiert die schwierige­n Handelsbed­ingungen mit der Europäisch­en Union. Sein Vorschlag lautet deshalb: Firmen von Junguntern­ehmern sollen spezielle Exportkond­itionen erhalten. „Nur so kann es gelingen, anstatt von Menschen Produkte zu exportiere­n.“der STANDARD widmet den wichtigste­n Herkunftsl­ändern von Migranten, die 2018 via Mittelmeer nach Europa kamen, eine Serie. Lesen Sie am Samstag über den Sudan – Flucht aus einem autoritäre­n, aber schwachen Staat.

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Auf dem gesamten afrikanisc­hen Kontinent sind Kleinunter­nehmer aus Nigeria tätig. Europa bleibt jedoch eher Ziel für Migranten als für Exporte aus dem Land.
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