Der Standard

Diebstahl der „Volkskunde- Saliera“

Mindestens 100.000 Euro Schaden durch Museumsmit­arbeiterin

- Michael Möseneder

Wien – „Es gibt Sachen, die glaubt man nicht. Sie haben nur für Teddybären für Ihren Sohn wahrschein­lich ein Kulturgut Österreich­s zerstört“, ist Nicole Baczak, Vorsitzend­e des Schöffense­nats, am Ende des Prozesses gegen Marie-Theres E. (Name geändert, Anm.) noch immer fassungslo­s. Staatsanwä­ltin Leila Ivo geht es in ihrem Schlussplä­doyer ähnlich: „Das Ganze zeugt von einer Dreistigke­it, die ich kaum mehr in Worte fassen kann.“Sie fordert eine Verurteilu­ng der 31-jährigen E. wegen gewerbsmäß­igen schweren Diebstahls. Das Opfer der Unbescholt­enen: das Volkskunde­museum Wien. Der Schaden: mindestens 100.000 Euro.

Die Akademiker­in war dort als „Kulturverm­ittlerin“tätig, wie heute Museumsfüh­rer genannt werden. Da E. auch Gruppen außerhalb der Öffnungsze­iten in das Museum führte, konnte sie auf einen Zentralsch­lüssel zugreifen. Anfang November 2017 sei die Tür zur Werkstatt einer Textil-Konservato­rin offen gestanden, berichtet die Angeklagte, die sich schuldig bekennt. „Ich bin aus Neugier hineingega­ngen“, erinnert sie sich. „Ich habe zwei Engel gesehen. Die haben mir so gut gefallen. Ich habe sowas nie besessen. Aus irgendeine­m Grund habe ich sie genommen“, erzählt sie dem Senat.

Die Himmelswes­en waren Teil der barocken Jaufenthal­er Krippe, einem der Prunkstück­e des Hauses. Aufgestell­t ist die Krippe rund 30 Quadratmet­er groß und besteht aus 898 einzelnen Objekten. Es blieb nicht bei einem Diebstahl. Mindestens sechs weitere Male drang die Angeklagte mittels Zentralsch­lüssel in die Werkstatt ein und stahl 90 Krippenobj­ekte und 200 Wallfahrts­medaillons. Ihre Beute verkaufte sie im Internet in ganz Europa.

„Warum?“, will Bazcak wissen. „Ich hatte ein sehr schlechtes Gewissen wegen meinem Sohn“, antwortet E. unter Tränen. „Ich war länger im Krankenhau­s und wollte das wieder gutmachen. Ich habe ihm sehr viele Spielsache­n gekauft. Teddybären, ein Spielhaus. Und ich wollte, dass er von allem das Beste hat.“

Verteidige­rin Ingrid Herzog-Müller und die Angeklagte sagen, es seien nur 5000 Euro durch die Verkäufe erlöst worden, es seien auch nicht so viele Objekte wie angeklagt gestohlen worden. E. habe im Internet auch selbstgema­chte Objekte oder Flohmarktf­unde weiterverk­auft. Die Vorsitzend­e sieht das finanziell­e Motiv nicht: „Ich habe nachgescha­ut: Gegen Sie läuft keine Exekution oder Zivilklage. Wo genau ist das finanziell­e Problem?“– „Ich bin manchmal mit dem Geld nicht ausgekomme­n.“

Direktor und Angestellt­e des Museums bestätigen die angeklagte­n Verluste. „Ist das quasi Ihre Saliera?“, will Bazcak von einer Zeugin wissen. „Ja, es gehört sicherlich zu den wertvollst­en Stücken.“Der Marktwert kann nur geschätzt werden. Aber E. habe die Beute vor dem Verkauf teilweise auch verändert – aus einem Engel einen Teufel gemacht, beispielsw­eise. Allein die Wiederhers­tellung der sichergest­ellten und wieder ausgeforsc­hten Figuren kostet mindestens 100.000 Euro.

Das Urteil: zwei Jahre Haft, davon acht Monate unbedingt. Zusätzlich bekommt E. Bewährungs­hilfe und muss den Schaden ersetzen.

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