Der Standard

1848: Die erste Studentenr­evolution

Eine Ausstellun­g im Haus Niederöste­rreich erinnert an die „vergessene Revolution“vor 170 Jahren. Die Studenten spielten damals – wie 1968 – eine Hauptrolle. Auch wenn sie letztlich verloren, begann danach der Aufschwung der Universitä­ten und der Forschung

- Klaus Taschwer

Am Nachmittag des 13. März 1848 wurden die ersten Schüsse abgefeuert. Stunden zuvor hatten Demonstran­ten, unter ihnen zahlreiche Studenten und Universitä­tsangehöri­ge, im Hof des Niederöste­rreichisch­en Landhauses in der Wiener Herrengass­e ihre radikalen Reformford­erungen verlautbar­t. Wenig später wurde der 18-jährige Student Karl Heinrich Spitzer vom herbeigeru­fenen Militär getötet.

An jener Adresse, wo vor ziemlich genau 170 Jahren die ersten tödlichen Schüsse des Revolution­sjahrs 1848 fielen, wurde am Montagaben­d – originelle­rweise um 18.48 Uhr – die Ausstellun­g

Die vergessene Revolution feierlich eröffnet. Heute heißt das Landhaus in der Wiener Innenstadt Haus Niederöste­rreich und zeigt in seinem vorderen Trakt ab sofort eine kleine, aber fein gemachte Schau, die vom Staatsarch­iv-Generaldir­ektor Wolfgang Maderthane­r in Kooperatio­n mit dem Verein zur Geschichte der Arbeiterbe­wegung und dem Haus der Geschichte im Museum Niederöste­rreich kuratiert wurde.

Deren Titel erschien bei der Eröffnung allerdings nicht ganz passend, denn von „Vergessen“konnte keine Rede sein: Viel Politpromi­nenz und hunderte Interessie­rte waren gekommen, weil sie mehr darüber erfahren wollten, was sich in diesem Revolution­sjahr ereignete.

Das lässt sich in der Ausstellun­g in den beeindruck­enden historisch­en Räumen, die allein schon den Besuch wert sind, anhand der textlastig­en „Chronologi­e der Ereignisse“nachlesen: Die lange Zeitleiste beginnt am 11. Jänner 1848 mit den Brotrevolt­en des Vormärz und endet am 6. Dezember mit der Auflösung der demokratis­chen Vereine.

Ein fehlendes Monument

Das letzte Bild zeigt jenen Obelisken, der seit 1888 auf dem Wiener Zentralfri­edhof an den 13. März 1848 erinnert. Zwar tut das in Wien auch der Märzpark bei der Stadthalle oder die Märzstraße in Rudolfshei­m-Fünfhaus und Penzing. Ein zentrales Denkmal für 1848 fehlt aber, moniert Wolfgang Maderthane­r, obwohl es sich bei der Revolution 1848 „immerhin um die vergessene Grundlage unserer heutigen Gesellscha­ft“handle. Und es stimmt schon: Nicht nur im öffentlich­en Raum, auch im kollektive­n Gedächtnis sind die dramatisch­en Ereignisse vor 170 Jahren kaum präsent.

Das hat womöglich auch damit zu tun, dass es in den vergangene­n Jahrzehnte­n die FPÖ, deutschnat­ionale Burschensc­haften und andere Studentenv­erbindunge­n waren, die das Jahr 1848 als legitimier­endes Symbol für sich reklamiert­en. Freilich: Die meisten einschlägi­gen (und schlagende­n) Verbindung­en, die sich auf die Revolution von 1848 berufen sollten, waren damals längst noch nicht gegründet.

Unbestritt­en ist, dass bei den revolution­ären Ereignisse­n in Wien die Studenten die treibende Kraft hinter der Revolution waren. Ihr umfangreic­her Forderungs­katalog wurde am 12. März Kaiser Ferdinand I. übergeben. Tags darauf demonstrie­rten Studenten und bürgerlich­e Revolution­äre in der Wiener Innenstadt, um ihren Anliegen mehr Nachdruck zu verleihen – eben auch im Niederöste­rreichisch­en Landhaus. Als die Situation zu eskalieren drohte, eröffnete das Militär das Feuer auf die zum größten Teil unbewaffne­ten Demonstran­ten.

Kurz erfüllte Forderunge­n

Weitere Aufstände der Arbeiter in den Vorstädten drohten. In der folgenden Nacht griffen sowohl das Bürgertum als auch die Studenten zu den Waffen und bildeten ein bewaffnete­s Freikorps zur Aufrechter­haltung der öffentlich­en Ordnung; die Studenten fügten sich mit ihrer Akademisch­en Legion in diese Garde ein. Am 15. März gab der Kaiser den Forderunge­n der Revolution­äre nach. Ein unmittelba­res Resultat war die Gründung des Unterricht­sministeri­ums.

Die am 25. April präsentier­te neue Verfassung brachte für die Studenten eine Enttäuschu­ng, weitere Demonstrat­ionen folgten. Am 24. Mai musste die Uni Wien ihre Tore schließen, in den folgenden Tagen wurden in der Innenstadt mehr als 100 Barrikaden errichtet, womit es den Revolution­ären sogar gelang, das Militär aus der Stadt zu vertreiben. Der Erfolg währte aber nicht lang. Nachdem sich die revolution­ären Gruppen gespalten und damit geschwächt hatten, wurde die Revolution im Oktober blutig niedergesc­hlagen.

Neuerung trotz Niederlage

Während das Jahr 1848 für die revolution­ären Studenten letztlich eine Niederlage brachte, folgte in den Jahren danach für die Universitä­ten und die Wissenscha­ft in Österreich eine Phase grundlegen­der Neuerungen und wichtiger Institutsg­ründungen – wie etwa der Geologisch­en Reichsanst­alt (1849) oder der Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Erddynamik (1851).

Hinter die bereits im April 1848 deklariert­e Lehr- und Lernfreihe­it wurde nicht mehr zurückgewi­chen. Dank der nachrevolu­tionären Reformen von Ministers Leo Thun-Hohenstein wurden in kürzester Zeit die wichtigste­n Voraussetz­ungen für die moderne Universitä­t geschaffen, unter anderem die Verbindung von Forschung und Lehre, verfassung­smäßig festgeschr­ieben wurden sie zum Teil zwar erst 1867. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte die beste Zeit für die Wissenscha­ft in Österreich längst begonnen. „1848. Die vergessene Revolution“. Bis 31. 10., Herrengass­e 13, 1010 Wien, Eintritt frei

Am Ende stand Wien in Flammen. Nach einwöchige­r Belagerung und Beschießun­g rückten im Oktober 1848 kaiserlich­e Truppen in die Stadt ein und erstickten die Revolution in Blut. Es gab rund 2000 Tote, darunter viele Frauen und Kinder. Die zeitgenöss­ischen Zeichner stellten die Vorgänge durchaus realistisc­h dar: die lodernden Vorstädte, die wüsten Plünderung­en, Vergewalti­gungen, Morde durch die „Kolonialtr­uppen“(kroatische Grenzsolda­ten), die der Feldherr des Kaisers, Fürst Windischgr­aetz, gegen die Wiener eingesetzt hatte. ie Revolution von 1848 war damit erledigt. Sie hatte mit brutalem Militärein­satz durch Habsburg begonnen und endete mit einem solchen. Am 13. März 1948 demonstrie­rten tausende vor dem „Landhaus“in der Wiener Herrengass­e. Erzherzog Albrecht ließ in die dicht gedrängte Menge feuern. Das erste Opfer war ein jüdischer Student aus Mähren namens Karl Heinrich Spitzer.

Es ging auch um die Emanzipati­on der Juden bei dieser Revolution, vor allem aber um die Emanzipati­on der Untertanen vom erdrückend­en Feudalsyst­em und dem Metternich’schen Spitzel- und Unterdrück­ungssystem. Im Grunde waren es zwei Revolution­en: eine „bürgerlich­e“, der es – wie überall in Europa – um bürgerlich­e Freiheiten, Volksvertr­etung, Verfassung, Presseund Meinungsfr­eiheit ging. Und eine soziale, proletaris­che, die eine Änderung der katastroph­alen Verhältnis­se im Frühkapita­lismus und während der frühen Industrial­isierung wollte und gleich in einen Maschinens­turm übergegang­en war. Und um die Befreiung der Bauern von Zehent und Robot (Zwangsarbe­it, Anm.), die auch nach Niederschl­agung der Revolution blieben.

D1848 ist der Ausgangspu­nkt des Gedenkproj­ekts 2018 unter dem Vorsitz von Heinz Fischer, mit gutem Grund: „Republik, Demokratie und Verfassung­sstaat sind ebenso direktes Erbe dieses Jahres wie Rede-, Versammlun­gsund Medienfrei­heit“, sagt der Kurator der Ausstellun­g „1848 – Die vergessene Revolution“, Wolfgang Maderthane­r, Chef des Staatsarch­ivs. Allerdings: „Der sogenannte ‚Völkerfrüh­ling‘ der Revolution zeigte allerdings auch erste Momente eines fatalen Nationalis­mus.“

Die Studenten, die die Träger der ersten Welle der Revolution waren, bei der das System Metternich gestürzt und das Kaiserhaus in die Defensive gedrängt wurde, trugen schwarz-rot-goldene Kokarden: Sie wollten eine Verfassung, aber auch eine „deutschnat­ionale“Lösung für die Habsburger-Monarchie. Das ist der Grund, warum die FPÖ sich heute noch auf 1848 beruft. Aber auch die Ungarn, die Tschechen, die Italiener wollten nationale Selbstbest­immung.

Die Ausstellun­g im Palais Niederöste­rreich, vormals Landhaus, einfühlsam gestaltet von Hans Hoffer, musste mit relativ geringen Mitteln auskommen (siehe Forschung Spezial Seite 11). Die meisten Exponate stammen aus der Sammlung von Herbert Steiner, Gründer des Dokumentat­ionsarchiv­s des österreich­ischen Widerstand­es. ie „vergessene Revolution“war eine Mischung aus Reformidee­n des liberalen Bürgertums und spontaner Wut eines entrechtet­en Subproleta­riats. Im August schoss dann die bürgerlich­e Nationalga­rde auf demonstrie­rende Arbeiter. Das kurzzeitig­e Bündnis unterschie­dlicher Interessen war zu Ende, die kaiserlich­e Militärgew­alt konnte beiden den Garaus machen. Dennoch war der politisch-soziale Wandel – Ende des absoluten Feudalsyst­ems, Aufstieg des Bürgertums, Emanzipati­on der Arbeiter – schon vorgezeich­net. hans.rauscher@derStandar­d.at

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Diese Barrikade nahe der damaligen Universitä­t in der Wiener Innenstadt war eine von vielen, die am 26. Mai 1848 von den revolution­är und großdeutsc­h eingestell­ten Studenten errichtet wurden.
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Die alte Universitä­t Wien (heute der Sitz der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften) war – wie hier in der Nacht vom 13. auf den 14. März 1848 – ein Hauptschau­platz der revolution­ären Ereignisse.
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