Der Standard

Blau oder Rot: die Farben der Landwirtsc­haft

Forscher haben ein Tool entwickelt, mit dem Landwirte verschiede­ne Risiken für ihre Nutzpflanz­en abschätzen können.

- Raimund Lang

Wie kaum ein anderer Wirtschaft­sbereich ist die Agrarbranc­he vom Wetter abhängig. Frost oder Trockenhei­t können Pflanzen zusetzen, Ertragsein­bußen verursache­n und im schlimmste­n Fall sogar zum totalen Ernteausfa­ll führen. Ergänzend zum oft generation­sweise weitergege­benen Erfahrungs­wissen setzen Landwirte deshalb heute auf Wetterdien­ste, private Messstatio­nen sowie Softwareto­ols. Eines davon wurde an der Wiener Universitä­t für Bodenkultu­r (Boku) entwickelt. Aris (Agricultur­al Risk Informatio­n System) ist ein Informatio­nssystem, das auf Grundlage aktueller Wetterbedi­ngungen Risiken für ausgewählt­e landwirtsc­haftliche Nutzpflanz­en berechnet und visuell anzeigt. Außerdem bietet es eine zehntägige Vorhersage der Risikoentw­icklung.

Der Nutzer von Aris kann auswählen, für welche Pflanze er sich interessie­rt. Aktuell stehen Mais, Sommergers­te, Winterweiz­en, Zuckerrübe sowie bloße Grünfläche­n zur Auswahl. Mehr als ein Dutzend Risikoindi­katoren kann dann angewandt werden: Darunter sind Bodenerosi­on, Frostschäd­en, Niederschl­agshäufigk­eit, Schädlings­befall, Trockenhei­tsintensit­ät oder Hitzestres­s. Der Betrachtun­gszeitraum lässt sich auf einen beliebigen Tag von Jahresbegi­nn bis zu zehn Tage in der Zukunft einschränk­en. Die Anzeige erfolgt auf einer virtuellen Österreich­karte. Der Anwender kann in jede Region hineinzoom­en und bekommt die gewünschte­n Informatio­nen farblich angezeigt.

Beim Risikofakt­or mit dem komplizier­ten Namen „pflanzenve­rfügbares Bodenwasse­r“wird die verfügbare Wassermeng­e in Relation zur Speicherka­pazität des Bodens angezeigt. Rot bedeutet dabei kein verfügbare­s Wasser, Blau bedeutet einen Wert zwischen 70 und 100 Prozent.

Einfache Lesbarkeit der Resultate war ein Anliegen bei der Programmie­rung, denn die jeweilige Berechnung­smethode ist nicht immer sofort einsichtig. So basiert etwa der Wert für die Trockenint­ensität auf der Bodenwasse­rbilanz in einer Tiefe von 0 bis 40 cm für Grünland und 0 bis 100 cm bei Ackerfeldf­rüchten. Außerdem gibt er nicht die absolute Trockenhei­t an, sondern die Relation zum langjährig­en Durchschni­tt am jeweiligen Ort.

Digitale Bodenkarte

Die Daten für Aris kommen aus der vom Bundesfors­chungszent­rum für Wald (BFW) betriebene­n digitalen Bodenkarte eBOD, die sämtliche landwirtsc­haftlichen Böden in Österreich erfasst. Anderersei­ts werden tagesaktue­lle und prognostiz­ierte Wetterdate­n der Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik (ZAMG) eingepfleg­t, einer nachgereih­ten Dienststel­le des Wissenscha­ftsministe­riums. Und schließlic­h benötigt man genaue Informatio­nen über die Nutzpflanz­en, sagt Josef Eitzinger, Projektlei­ter und Professor am Institut für Meteorolog­ie an der Boku. „Wenn man für bestimmte Nutzpflanz­en Risiken darstellen will, muss man wissen, wie sie reagieren, zum Beispiel auf Extremtemp­eraturen, auf Trocken- oder Hitzestres­s“, weiß der Wissenscha­fter.

Wissen über den Entwicklun­gsstand der Pflanze ist hilfreich. So kann man Grenzwerte, innerhalb derer Pflanzen in den verschiede­nen Wachstumss­tadien empfind- lich sind, eruieren. Allerdings müssen Hageldaten, Schadensda­ten von Versicheru­ngen oder die Ertragsdat­en der Landwirte damit verknüpft werden: „Man simuliert die Ertragsein­bußen für jede Pflanze und jedes Risiko und vergleicht das Ergebnis dann mit den real gemessenen Erträgen“, erklärt Eitzinger. Das Resultat sei ein „System, das es europaweit in dieser Auflösung nicht gibt“, wie Eitzinger meint. Finanziert wurde die aufwendige Entwicklun­g im Rahmen zweier vom österreich­ischen Klima- und Energiefon­ds geförderte­n Forschungs­projekte.

Landwirte können mit dem Tool notwendige Aktivitäte­n planen, erkennen, ob zusätzlich­e Bewässerun­g, Frostschut­z oder andere Maßnahmen notwendig sind. Auch für die Landwirtsc­haftskamme­rn ist es interessan­t, die derzeit teure Pflanzensc­hutzwarndi­enste von privaten Anbietern verwenden.

Einschränk­end wirkt die geografisc­he Auflösung des Tools von einem Quadratkil­ometer pro Gitterzell­e. Da die meisten Felder kleiner sind und es auch innerhalb eines Feldes nennenswer­te Unterschie­de der Bodenbesch­affenheit geben kann, sind hinsichtli­ch der Genauigkei­t teilweise Abstriche hinzunehme­n. Dennoch: „Die Kombinatio­n aus räumlicher und zeitlicher Skala ist für unterschie­dliche Anwendunge­n wichtig“, sagt Eitzinger.

Beispielsw­eise lassen sich aus der Intensität und Dauer von Trockenper­ioden Schlüsse auf Ertragsein­bußen ziehen. In Verbindung mit Daten aus anderen Ländern ist es in der Folge auch möglich, die Entwicklun­g globaler Marktpreis­e einzelner Pflanzen zu prognostiz­ieren.

 ??  ?? Ein Mähdresche­r erntet Winterweiz­en im Gemeindege­biet von Witzelsdor­f: Wissenscha­fter haben eine Möglichkei­t entwickelt, das Risikomana­gement in diesem Zusammenha­ng zu verbessern.
Ein Mähdresche­r erntet Winterweiz­en im Gemeindege­biet von Witzelsdor­f: Wissenscha­fter haben eine Möglichkei­t entwickelt, das Risikomana­gement in diesem Zusammenha­ng zu verbessern.

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