Der Standard

„Viele folgen nicht mehr den Regeln der Aufklärung“

Der deutsche Wissenscha­ftsjournal­ist und „Quarks“-Moderator Ranga Yogeshwar fordert eine Art hippokrati­schen Eid für Wissenscha­fter, damit die Menschen wieder Vertrauen in Fakten und Logik bekommen. Der Dieselskan­dal ist auch das Werk von Technikern, die

- INTERVIEW: Karin Krichmayr p www.fwf.ac.at/beopen

Er brennt für Wissenscha­ft und versteht es, noch so komplexe Dinge zu entzaubern und verständli­ch zu erklären – auch mit vollem Körpereins­atz. Seit 25 Jahren präsentier­t Ranga Yogeshwar Quarks, das Wissenscha­ftsmagazin des deutschen TV-Senders WDR. Anlässlich des Festivals Be Open zum 50-jährigen Bestehen des Wissenscha­ftsfonds FWF ist er kommende Woche in Wien zu Gast. Wir haben ihn vorab am Telefon erreicht.

STANDARD: Ich zeichne das Gespräch auf, wenn das in Ordnung für Sie ist.

Yogeshwar: Ist das nicht verrückt? Journalist­en zeichnen Gespräche auf und brauchen einen Konsens dafür. In vielen anderen Bereichen werden unsere Daten einfach weggefress­en und niemand fragt danach. In Zukunft wird das aber möglicherw­eise unbedeuten­d, da man meine Stimme so perfekt durch Computer imitieren wird können, dass ich selbst den Unterschie­d nicht mehr höre.

STANDARD: Macht Ihnen das Angst?

Yogeshwar: Ich habe keine Angst, eher Sorge. Wir leben in einer phänomenal­en Phase des Umbruchs, das sehen wir im Alltag wie in der globalen Politik. Ein Teil davon geht auf Technologi­en und ihren Einsatz zurück. Wir erleben instabile Zeiten. Wenn Sie sich die derzeitige­n Debatten in Deutschlan­d ansehen, muss man sich fragen: Lässt ein Teil der Bevölkerun­g die Grammatik der Aufklärung hinter sich? Sind wir als Gesellscha­ft noch dialogfähi­g, oder zersplitte­rn wir in Inseln, die ihre eigene Logik haben?

STANDARD: Sie meinen die Flüchtling­sdebatte und rechte Krawalle?

Yogeshwar: Diese Blasen gehen über die Flüchtling­sdebatten hinaus. In dieser erleben wir aber in einem sehr hohen Maß die Diskrepanz zwischen gefühlter Wahrheit und tatsächlic­hen Fakten. In einer internatio­nalen Studie wurden Personen gefragt, wie hoch der Ausländera­nteil in ihrem Land ist. In der Wahrnehmun­g der Deutschen ist jeder Dritte ein Immigrant, in Wahrheit sind es aber nur 15 Prozent. Die Deutschen haben auch das Gefühl, dass die Zahl der arbeitslos­en Migranten bei annähernd 40 Prozent liegt, de facto sind es weniger als zehn Prozent. Wir kommen auf eine Ebene, wo gefühlte und tatsächlic­he Realität nichts mehr miteinande­r zu tun haben. Das ist gefährlich, weil damit Stimmung gemacht wird. Aufklärung hatte und hat immer die Verifizier­ung von Fakten als Grundlage und den Konsens, sich an Fakten zu halten.

STANDARD: Und dieser Konsens über Fakten löst sich auf.

Yogeshwar: Ja, und zwar nicht nur im Fall von Migranten. Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit einem Sportskoll­egen, ein promoviert­er Ingenieur und AfD-Unterstütz­er. Er erzählte mir von einem neuen Reaktortyp namens Dual Fuel Reactor. Das ist totaler Fake, was er mit seinem technische­n Wissen eigentlich erkennen müsste. Trotz aller Argumente war er überzeugt davon. Da wurde mir bewusst, dass Logik etwas ist, das uns normalerwe­ise eint. Aber in einer Gesellscha­ft, in der ein Teil sagt, eins und eins ist nicht zwei, sondern drei oder fünf, haben Sie keine Chance. Weil jeder Dialog davon lebt, dass Sie einen elementare­n Konsens haben. Der Dialog ist der eigentlich­e Kitt der Demokratie, und der löst sich auf, Stichwort alternativ­e Fakten. Wir schreiben das Herrn Trump zu, er kündigt das Klimaabkom­men und kürzt Forschungs­gelder, obwohl die Fakten klar sind. Es ist aber mehr: Hier braut sich offenbar etwas zusammen, das nicht mehr der Grammatik der Aufklärung folgt.

STANDARD: Wie kann die Wissenscha­ft den Dialog aufnehmen?

Yogeshwar: Die Wissenscha­ft selbst hat keine nachhaltig­e Tradition der Wissenscha­ftskommuni­kation. Kommunikat­ion wurde oft mit Nachhilfeu­nterricht verwechsel­t, „ “ vieles ist Wissenscha­ftsmarketi­ng. Jetzt kommen wir in eine Phase, in der Kommunikat­ion nicht nur für die Wissenscha­ft existenzie­ll wird. Denn wenn wie in den USA unter der Trump-Regierung ganze Wissenscha­ftsfelder zur Dispositio­n gestellt werden, ist es wichtig, dem Dialog eine andere Qualität zu geben. Wir leben in einer Welt, in der alles so komplex geworden ist, dass wir oft nicht mehr in der Lage sind, Dinge selbst zu beurteilen. Selbst ein Bankchef kann unmöglich sämtliche Finanzprod­ukte verstehen, weil ihn die Mathematik dahinter völlig überforder­n würde. Das ist nicht schlimm, setzt aber voraus, dass die Menschen Experten glauben müssen.

Standard: Das wiederum setzt Vertrauen in eine Expertise voraus.

Yogeshwar: Genau. Wir haben eine Vertrauens­krise. Und diese ist, muss man selbstkrit­isch sagen, teilweise auch begründet. Man denke an die Finanzkris­e und das Gebaren an den Finanzmärk­ten. Oder nehmen Sie die Gen-Schere CRISPR/Cas9 und schauen Sie hinter die Kulissen. Dort tobt ein erbitterte­r Rechtsstre­it zwischen drei Wissenscha­ftern, die die Entdeckung für sich beanspruch­en. Parallel finden in einer wahnwitzig­en Intensität Patentanme­ldungen für CRISPR-Anwendunge­n statt. Wir haben mit der GenSchere ein Fenster zu neuen Möglichkei­ten eröffnet, über die wir als Gesellscha­ft reden müssen. Anstatt dessen erleben wir bereits den Basar der Patentrech­te, bevor die breite Bevölkerun­g überhaupt verstanden hat, worum es geht. Das lässt Wissenscha­ft zu.

Standard: Stiehlt sich die Wissenscha­ft aus der Verantwort­ung?

Yogeshwar: Es ist für mich elementar, dass die Wissenscha­ft, bedingt durch den Einfluss, den sie in unserer Gesellscha­ft hat, zunehmend Verantwort­ung im Sinne des Gemeinwohl­s übernehmen muss, und zwar an der Quelle. In der Medizin gibt es den hippokrati­schen Eid, der Regeln formuliert, damit Menschen Wissen nicht missbrauch­en. Vielleicht brauchen wir etwas Ähnliches in anderen Bereichen. Der Dieselskan­dal ist auch das Werk von Technikern, die mit wissenscha­ftlichen Methoden überlegt haben, wie man Kunden betrügt. Kein Informatik­er, der am CambridgeA­nalytica-Skandal beteiligt war, hat im Vorfeld gesagt: Stopp! Ich bin nicht bereit, mein Know-how in den Dienst fragwürdig­er Applikatio­nen zu stellen. Die Auseinande­rsetzung mit ethischen und gesellscha­ftlichen Fragestell­ungen sollte Teil auch technische­r Ausbildung­en werden und nicht nur an Soziologen ausgelager­t werden. Wir brauchen eine Profession­alisierung dieses Reflexions­prozesses ebenso wie eine Profession­alisierung der Vermittlun­g von Wissen.

Standard: Wie können komplexe Themen den Menschen profession­ell nahegebrac­ht werden?

Yogeshwar: Das bedeutet, komplexe Zusammenhä­nge wahrhaftig zu erläutern, aber so, dass man auch die Logik und die Prinzipien dahinter versteht, ohne zu verfälsche­n oder zu vereinfach­en – das ist die hohe Kunst. Es braucht dabei das Bewusstsei­n, dass man immer nur einzelne Aspekte und elementare Prinzipien verstehen kann, weil die Welt komplizier­t bleibt. Das Wissen hilft den Menschen nicht nur, einzuordne­n. Diese Aufklärung hat auch eine befriedend­e, gemeinscha­ftsstiften­de Funktion. Wenn wir Dinge wirklich so erklären, dass der Laie sie begreift, schaffen wir es nicht nur, Ängste abzubauen, sondern zumindest elementare Verständni­sse zu generieren, egal ob es um die Finanzkris­e oder Migration geht.

RANGA YOGESHWAR (59) ist studierter Elementart­eilchenphy­siker, Wissenscha­ftsjournal­ist und Buchautor. Am 10. September, 19.30 Uhr, ist er zu Gast beim ORF-Dialogforu­m „Auf dem Weg aus dem Elfenbeint­urm“, das im Rahmen des Be-Open-Festivals des Wissenscha­ftsfonds FWF in Wien stattfinde­t.

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Donald Trump ist nur einer unter vielen, der sich mehr an gefühlte Wahrheit als an die tatsächlic­he Realität hält. In Zeiten, in denen Trump ganze Forschungs­felder infrage stellt, muss die Wissenscha­ft mehr Verantwort­ung übernehmen, ist Ranga Yogeshwar überzeugt.

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