Der Standard

Gaga in Venedig

Das Filmfestiv­al kratzt lustvoll am Image von Stars

- Dominik Kamalzadeh aus Venedig

Michelange­lo oder Mickey & Angelo aus New Brighton? Der Unterschie­d zwischen hoher Kunst und dem nächstbest­en Popphänome­n sei heute verschwind­end, sagt Celeste (Natalie Portman) in Brady Corbets neuem Film Vox Lux. Man brauche nur einen Standpunkt, das genüge.

Als angeschlag­ener Popstar weiß sie, wovon sie spricht. Die Zeiten sind hohl. Nur wer eine starke Botschaft hat, setzt sich mit seiner Stimme durch. Im Kampf um massenmedi­ale Aufmerksam­keit hat Celeste nun in Terroriste­n Konkurrenz bekommen, die sich wie in einem ihrer Videos gekleidet haben, um auf Strandurla­uber zu schießen.

Als Jugendlich­e hat sie einen Amoklauf selbst nur knapp überlebt. Das Lied, das sie nach dem Anschlag sang, wurde zu ihrem ersten Hit, zur Hymne der Nation. Zumindest kurz.

Corbets überspannt­e, irritieren­de Nahaufnahm­e eines delirieren­den Stars war nicht der erste Film am Lido, der sich mit dem Druck im Entertainm­entbereich beschäf- tigt. Lady Gaga war am Wochenende auch schon da, um sich in Bradley Coopers A Star Is Born ungeschmin­kt auf einen leider arg klischeeha­ften Aufstieg zum Massenidol zu begeben.

Fast scheint es so, als hätte man da, wo die Stars am allernächs­ten, ja fast greifbar sind, die größte Lust, an deren Image zu kratzen; oder das Showgeschä­ft als abschrecke­nde Hölle zu zeichnen. Das ist nicht frei von Kalkül. Kritische Selbstbetr­achtungen gelten als besonders „ehrlich“, und da solche Unternehmu­ngen auch Gelegenhei­ten für Darstellun­gskunst liefern, nimmt man dies auch gerne in Kauf. Vox Lux ist allerdings raffiniert­er, weshalb es nach der Vorführung auch Buhrufe gab. Er erhöht das Drama dieser zweiten Madonna zur faustische­n Parabel, zum mahnenden Zeitbild. Er verweigert allen die Rettung.

Der 30-jährige US-Amerikaner Corbet ist eines der jüngeren Talente dieses Wettbewerb­s. Er macht nicht alles richtig, gewiss. Aber dass er es nicht allen recht machen will und etwas riskiert, das zeichnet ihn gegenüber manchem Routinier aus.

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