Der Standard

Arbeitsmar­kt – was auf dem Spiel steht

Die geplanten Kürzungen in der Arbeitsmar­ktpolitik treffen diejenigen am härtesten, die jetzt schon hart getroffen sind. Das kann niemand wollen. Anmerkunge­n zu den Reformplän­en der Regierung.

- Judith Pühringer

Die Arbeitsmar­kt- und Sozialpoli­tik in Österreich stehen aktuell vor einem großen Umbau. Insgesamt dreht die Bundesregi­erung an drei großen Schrauben: Das AMS-Budget soll gekürzt, die Arbeitsmar­ktbetreuun­g personalis­iert und die Notstandsh­ilfe abgeschaff­t werden. Ein explosives Gesamtpake­t mit ernsten Folgen für langzeitar­beitslose Menschen und die Gesellscha­ft.

Gekürzt ist nicht gespart

Wird, wie derzeit im Raum steht, die Arbeitsmar­ktrücklage nicht aufgelöst, betragen die Mittel der aktiven Arbeitsmar­ktpolitik 2019 nur noch 1051 Millionen Euro – um ein Viertel weniger als heuer. Begründet wird dies mit der guten Wirtschaft­slage. Derzeit gibt es aber dreimal so viele langzeitbe­schäftigun­gslose Menschen wie vor zehn Jahren. Viele von ihnen brauchen weiterhin Unterstütz­ung beim berufliche­n Wiedereins­tieg. Wer hier kürzt, kürzt bei Perspektiv­en von Menschen, die ohnehin wenig Perspektiv­e haben.

Hinter der „personalis­ierten Arbeitsmar­ktbetreuun­g“verbirgt sich die Einteilung Arbeitssuc­hender in eine Klassenges­ellschaft: Menschen mit geringen Chancen auf einen neuen Job erhalten künftig weniger Integratio­nsangebote.

Die dritte Schraube, die Abschaffun­g der Notstandsh­ilfe, lässt den Betroffene­n noch weniger Luft zum Atmen: Sie fallen mit dem „Arbeitslos­engeld neu“aus dem Versicheru­ngsprinzip hinaus, werden in die Mindestsic­herung gedrängt. Damit droht Österreich die Einführung eines Modells ähnlich dem deutschen Hartz-IV-System, das Menschen in einem Hamsterrad ohne Perspektiv­en festhält.

Wenn der Boden wankt und sich die Angst um eine sichere Zukunft – berechtigt oder politisch geschürt – wie ein Feuer ausbreitet, dann gibt es unterschie­dliche Zugänge, mit dieser Unsicherhe­it umzugehen. Sie kann zu Vertrau- en in die eigenen Fähigkeite­n und zu großen Innovation­en führen. In der Arbeitsmar­kt- und Sozialpoli­tik erleben wir gerade das Gegenteil: Das Vertrauen sinkt und das fördert Härte.

Die scheinbar Leistungsb­ereiten werden belohnt, die scheinbar „unwillig“Arbeitslos­en werden härter sanktionie­rt. Dabei gelingt es auf beängstige­nde Weise, benachteil­igten Menschen selbst die Schuld für das strukturel­le Versagen des Arbeitsmar­kts in die Schuhe zu schieben. Der Preis einer solchen Politik ist hoch, und es steht viel auf dem Spiel: für die arbeitssuc­henden Menschen, für die Sozialwirt­schaft, für den Sozialstaa­t, für die gesamte Gesellscha­ft.

Für die arbeitssuc­henden MenQ schen Das Verspreche­n, dass Leistung und Arbeitseif­er soziale Sicherung und Anerkennun­g garantiere­n, ist längst erodiert. Es gilt nicht mehr in Zeiten brüchiger Erwerbsver­läufe und fehlender Einstiegsm­öglichkeit­en. Menschen wollen arbeiten, nicht alle können dies zu den Bedingunge­n, die der Arbeitsmar­kt von ihnen verlangt. Ältere, gesundheit­lich beeinträch­tigte und langzeitar­beitslose Menschen werden in einem System, das sie schon jetzt ausgrenzt, noch weiter an den Rand gedrängt und geraten unter Druck. Deshalb braucht es wirksame Unterstütz­ungsangebo­te für benachteil­igte Menschen.

Für die Sozialwirt­schaft Die regional stark verankerte­n sozialen Unternehme­n haben 30 Jahre Erfahrung in der Integratio­n von langzeitar­beitslosen Menschen. Sie beschäftig­en, beraten und qualifizie­ren arbeitslos­e Menschen. Wirksame Alternativ­en zu diesem Modell fehlen bisher. Hinter diesen Strukturen stehen wiederum Unternehme­n, die Menschen beschäftig­en. Durch die aktuelle Kürzungspo­litik sind bis zu 6000 Arbeitsplä­tze bei sozialen Unternehme­n und Organisati­onen bedroht.

Für den Sozialstaa­t Es braucht ein soziales Netz, das uns auffängt, eine Mindestsic­herung, die das Mindeste tatsächlic­h sichert, eine Arbeitslos­enversiche­rung, die wirklich versichert.

Genau diese Errungensc­haften des Sozialstaa­ts sollten wir bewahren und weiterentw­ickeln. Empirische Daten belegen auch, dass Länder mit starkem Sozialstaa­t wettbewerb­sfähiger sind als andere. Mit Blick auf die Herausford­erungen der Zukunft müssen wir die Instrument­e des Sozialstaa­ts verfeinern, nicht zurückfahr­en.

Für den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt Eine Arbeitsmar­kt- und Sozialpoli­tik, die soziale Ungleichhe­iten verschärft, verschärft Unsicherhe­it und Spaltung. Hartz IV in Deutschlan­d hat nachweisli­ch die soziale Kluft vergrößert und zu Entsolidar­isierung der Gesellscha­ft geführt.

Weil so viel auf dem Spiel steht, braucht es dringend eine Kehrtwende: weg von einer ängstliche­n Kürzungspo­litik hin zu einer visionären, mutigen und hoffnungsv­ollen Arbeitsmar­ktpolitik, die die Herausford­erungen der Zeit sieht und allen Menschen eine menschenwü­rdige Perspektiv­e auf ein erfülltes Erwerbsleb­en gibt.

JUDITH PÜHRINGER ist Betriebswi­rtin, Arbeitsmar­ktexpertin und Geschäftsf­ührerin von Arbeit Plus, einem Netzwerk sozialer Unternehme­n.

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Warten im AMS: Es braucht wirksame Unterstütz­ungsangebo­te für die Menschen.
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Foto: Arbeit Plus J. Pühringer: Wer beim AMS kürzt, kürzt bei den Menschen.

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