Der Standard

Rechtsfrei­er Raum

- Gudrun Harrer

Es existiert in der öffentlich­en Wahrnehmun­g eine seltsame Abkoppelun­g zwischen den Vorgängen in Libyen und dem Lieblingst­hema europäisch­er Mitte-rechtsRegi­erungen, den Flüchtling­s- bzw. Migrantenb­ewegungen über das Mittelmeer. In Tripolis finden die schlimmste­n Kämpfe seit Jahren statt. Nicht nur die angestammt­en Einwohner sind betroffen. Für Ausländer, die von Libyens Regierung auf EU-Wunsch in Lagern bei Tripolis interniert sind, bricht nun die allerletzt­e Versorgung zusammen.

Wir entsetzen uns zu Recht über die Verbrechen an den Rohingyas im fernen Myanmar. Die Strukturen der Gewalt sind dort andere; der Staat ist der Täter, in Libyen sind es nichtstaat­liche kriminelle Akteure. Aber eines kann man doch sagen: Wenn es Migranten, mehr noch Migrantinn­en, in Libyen auf ein Schiff schaffen, haben sie oft Ähnliches hinter sich wie die dem Genozid in Burma Entflohene­n.

Libyen ist nur eine der großen Tragödien des Arabischen Frühlings – mit der Besonderhe­it, dass die Nato, unter der Führung Frankreich­s, 2011 aktiv zum Sturz des Regimes beitrug. Eine französisc­he Idee ist es auch, noch 2018 in Libyen wählen zu lassen und damit das Land aus der Selbstzerf­leischung herauszufü­hren. Nur weiß man mittlerwei­le, dass Wahlen nicht funktionie­ren, wenn es nicht zuvor einen prinzipiel­len Konsens über den Weg nach vorn gibt. In Libyen ist er nicht auszumache­n – und der rechtsfrei­e Raum für Verbrechen an Migranten wird bestehen bleiben.

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