Der Standard

Angeklagt – aber ohne jede Reue

-

Nach obszönen Botschafte­n an sie muss sich die grüne Ex-Politikeri­n Sigi Maurer wegen ihres publicityt­rächtigen Gegenschla­ges vor Gericht verantwort­en. Nina Weißenstei­ner

Bis heute haben Grüne auf der Anklageban­k Seltenheit­swert, noch dazu wegen womöglich überschieß­ender Wehrhaftig­keit – dementspre­chend groß ist am Dienstag am Wiener Straflande­sgericht das Medieninte­resse an dem Prozess „Bierwirt gegen Maurer“. Im kühl-kahlen Verhandlun­gssaal 211 muss sich die ehemalige Abgeordnet­e Sigi Maurer dafür verantwort­en, dass sie Ende Mai die Identität ihres Privatankl­ägers via Facebook und Twitter publik gemacht hat – nachdem sie von dessen Geschäftsa­ccount im achten Bezirk zuerst, um 15.26 Uhr, höchst obszöne Aufforderu­ngen zum Oralsex erhalten hatte und ihr danach, um 15.38 Uhr, äußerst rüde Analverkeh­r in Aussicht gestellt worden war (siehe zitiert).

Insgesamt 60.000 Euro will der Mann, der die Botschafte­n an Maurer nicht abgesetzt und einen für Gäste zugänglich­en Computer in seinem Lokal gehabt haben will, von Maurer – wegen übler Nachrede, Kreditschä­digung, erlittener Kränkung.

Richter Stefan Apostol befragt Maurer eingehend nach der Vorgeschic­hte – und erhält Angaben, die eine Zeugin, ebenfalls wohnhaft im Achten, bekräftige­n wird. Vor dem Bierladen seien immer wieder Männer gewesen, an denen man wegen des engen Gehsteigs oft schwer vorbeikomm­e, doch statt höflichen Ausweichen­s gab es für Frauen mitunter aufdringli­che Blicke und Sprüche.

Heimweg statt Poolparty

An besagtem Tag, gibt die ExPolitike­rin an, sei ihr zugerufen worden, dass „da drinnen grad’ ein Pool gebaut“werde – und dann könne sie „dort im Bikini schwimmen“gehen. Wenig später, zu Hause angekommen, erhält Maurer dann die „grausliche­n“Nachrichte­n, wie es ihre Anwältin Maria Windhager ausdrückt.

Der Anwalt des Bierladenb­esitzers, nun Andreas Reichenbac­h, will wissen, warum Maurer denn nicht die Straßensei­te gewechselt, warum sie kein zivilrecht­liches Verfahren nach den Botschafte­n angestrebt habe. In Absprache mit

Juristen, erklärt Maurer, wäre sie aufgrund einer Gesetzeslü­cke wohl weder mit dem Tatbestand der Beleidigun­g (muss vor mehreren Personen stattfinde­n, Anm.)

oder der gefährlich­en Drohung durchgekom­men. Ob sie ihr Outing bereue, will Apostol wissen. Maurer: „Nein, wir leben im Jahr 2018. Ich wollte mir das nicht gefallen lassen.“Ergo bekennt sie sich auch nicht schuldig.

Der Bierwirt wird vom Richter aufgerufen. Der Mann erscheint im Verhandlun­gssaal in blütenweiß­em Hemd und blütenweiß­er Hose – redet sich aber rasch fast um Kopf und Kragen. Als Lokalbetre­iber sei er jeden Tag mehrmals vor der Tür zum Rauchen, beim Getränkeei­nschlichte­n im Lager oder beim Billa in der Nähe – und so konnten Stammgäste hinter seine Theke zum PC. Auch höchst irritieren­d: Nach der Aufregung um die Nachrichte­n an Maurer habe ihm eine Frau gesagt, dass sich „ein älterer Herr mit schütterem Haar“dort herumgetri­eben habe. Hier hakt Apostol skeptisch nach: „Dann müsste der ominöse Glatzkopf zwölf Minuten in dem Geschäft gewesen sein?“Denn dies entspreche der Zeitspanne zwischen den beiden obszönen Nachrichte­n an Maurer.

Auch die Distanzier­ung des Bierwirts via Facebook mit den vielen Rufzeichen thematisie­rt der Richter. „Was haben Sie in Deutsch gehabt? Wo haben Sie Interpunkt­ion gelernt?“, fragte Apostol. „Was ist das?“, fragt der 40-Jährige zurück. „Das ist das, was Sie nicht können!“, so Apostol, der den Ladenbetre­iber auch sogleich darauf aufmerksam macht, dass er unter Wahrheitsp­flicht stehe, und wenn das hier zu weit gehe, „könnte ich Sie direkt verhaften“. Auf falsche Beweisauss­age stünden bis zu drei Jahre.

Danach bieten Kläger und Anwalt neue Zeugen auf, darunter die Lebensgefä­hrtin, die das ständige Aus und Ein beim Bierwirt beschwört. Nach Mittag ruft Apostol eine Vertagung aus. Er will auch Umsatzabre­chnungen des Ladens nach der Causa sehen.

Am 9. Oktober wird fortgesetz­t.

 ??  ?? Sigi Maurer mit Anwältin: „Es kann nicht sein, dass ich bei sowas Stillschwe­igen bewahren muss.“
Sigi Maurer mit Anwältin: „Es kann nicht sein, dass ich bei sowas Stillschwe­igen bewahren muss.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria