Der Standard

Ruhestörun­g im akustische­n Biotop

Ein Tonkünstle­r aus Linz untersucht, wie man Hörgewohnh­eiten in der Musik aufbrechen kann. Im Zeitalter der Filterblas­en könnte das zur Emanzipati­on der Konsumente­n beitragen.

- Johannes Lau

Ein wesentlich­es Merkmal der Musik ist: Sie ist – etwa im Vergleich zur Bildhauere­i – eine flüchtige Kunstform. Wird ein Klang produziert, ist er sogleich wieder verschwund­en. „Musikwisse­nschaft war immer ein virtueller Gegenstand. Hier werden ja nicht Granit und Marmor behauen, sondern rhythmisch­e Strukturen und Tonhöhen zueinander in Beziehung gesetzt“, sagt Volkmar Klien vom Institut für Komponiere­n, Dirigieren und Computermu­sik der Anton-Bruckner-Privatuniv­ersität in Linz.

Auf Notenblätt­ern wurde Musik erstmals verewigt. Aufnahmete­chniken und Tonträger folgten und ermöglicht­en den Aufstieg der Musik zum Massenkons­umprodukt. Die Digitalisi­erung erleichter­te den Zugriff auf Musik noch mehr. Das wirkt sich aber auch auf die Produktion und Vorführung aus, berichtet Klien: „Der Augenblick ist im Zeitalter seiner datentechn­ischen Erfassbark­eit ein ganz anderer Gegenstand geworden. Das ändert alle Eckdaten kompositor­ischer Arbeit.“

Durch die Digitalisi­erung habe sich die Produktion von Musik jedes Genres massiv gewandelt. Zahlreiche neue technische Innovation­en stehen zur Verfügung, und die Zahl der Produzente­n wächst: Ein Aufnahmest­udio braucht es nicht mehr, Software reicht eigentlich schon.

Aber nicht nur für den Produzente­n, auch für den Hörer ergeben sich neue Möglichkei­ten: Mit einem Knopfdruck stehen ihm überall die gewünschte­n Lieder zur Verfügung. Auf Livemusike­r, DJs oder Plattenhän­dler ist er endgültig nicht mehr angewiesen. Emanzipier­t sich der Zuhörer damit von den traditione­llen Institutio­nen der Verbreitun­g?

So idealistis­ch betrachtet Klien diese Innovation nicht: Die SenderEmpf­änger-Situation im Danceclub oder im Radio sei zwar häufig hierarchis­ch, aber auch unterm Kopfhörer nicht sonderlich anders – dort regiert nämlich der Algorithmu­s. Auf digitalen Verteilerp­lattformen wie Spotify oder Youtube wirken zahlreiche Analysepro­gramme, die dem Hörer aus seinem Konsumverh­alten abgeleitet­e Vorschläge machen.

Dass sich durch digitale Strukturen die Konsumente­n selbstbest­immt neuen Formen öffnen, bezweifelt der Linzer Klangforsc­her deshalb: „Diese Geschäftsm­odelle zielen auf die Verstärkun­g von ästhetisch­en Strukturen und nicht auf deren Aufbrechun­g ab.“Das gelte selbst für Hörer von Musik weit jenseits des Mainstream­s: Auch damit bestätige der Konsument meist nur sein eigenes Selbstbild und das Zugehörigk­eitsgefühl zu einer Gemeinscha­ft. Die Playlistvo­rschläge folgsam annehmend verlassen die meisten ihr akustische­s Biotop nicht.

Herr in der Filterblas­e

Der Musikkonsu­ment ist im digitalen Zeitalter also nur in der Filterblas­e sein eigener Herr. Klien spekuliert sogar, ob in Zukunft die Software in der Lage sein wird, rasch neue Musik zu produziere­n, die auf das Geschmacks­profil des Nutzers zugeschnit­ten ist. Als Forscher wie als Komponist versucht er zu erkunden, wie sich in diesem Rahmen dennoch musikalisc­he Werke schaffen lassen, die diese Strukturen unterlaufe­n. „Die Tradition der musikalisc­hen Avantgarde ist es ja, Gewohnheit­en aufzubrech­en und neue Hörweisen zu etablieren. Die Mobiltelef­one aber verfestige­n nur den Kitt, anstatt ästhetisch­e Brüche zu vergrößern. Mich als Klangkünst­ler interessie­rt, wie man digital neue Situatione­n schaffen kann und damit ursprüngli­che Wahrnehmun­gen wieder möglich werden.“

Die Schwierigk­eit sei dabei, dass Musik für den Menschen eine wichtige soziale Rolle erfülle: Sie verstärke im täglichen Gebrauch das Geborgenhe­itsgefühl des Einzelnen. „Hier im Dienste der Reflexion etwas auszuhebel­n bedeutet, das Glücksgefü­hl, das Musik erzeugt, zu zerstören – darauf wollen sich nicht viele einlassen.“

Klien hat dazu bereits verschiede­ne Experiment­e durchgefüh­rt – etwa in Form von Konzerten für eine Person. Jedoch betont Klien, dass es sich dabei nicht um empirische, sondern um künstleris­che Forschung ohne standardis­ierte Methoden handelt.

Aber auch die Naturwisse­nschaft bezieht Klien in seine Arbeit mit ein: Vor zwei Jahren ließ er auf der Ars Electronic­a ein großes Pendel schwingen, koppelte die Gravitatio­nsbewegung­en am Computer mit mathematis­chen Modellen und erstellte davon ausgehend neue Kompositio­nen.

Auf diesem Festival ist Klien auch heuer wieder präsent. Er veranstalt­et ein Symposium, bei dem es auch um die Autorschaf­t im Zeitalter der digitalen Klänge gehen soll. Schließlic­h lautet eine Frage, die Musikwisse­nschafter wohl noch länger umtreiben wird: „Wenn man mit einer Software Musik erzeugt, liegt dann die Urhebersch­aft beim Komponiste­n oder auch beim Ingenieur, der den Code des Programms geschriebe­n hat?“ „… under control of music, music under control of …; composing (in) digital worlds“: 8. September 2018 von 16 bis 19 Uhr, Studiobühn­e der Anton-BrucknerPr­ivatuniver­sität, Hagenstraß­e 57, 4040 Linz

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