Der Standard

Parteien in der Abwärtsspi­rale

Ist die SPÖ noch zu retten? Der deutsche Parteienfo­rscher Uwe Jun, der österreich­ische Politologe Peter Filzmaier und Parteichef Christian Kern machen sich Gedanken über die Zukunft der Roten.

- Walter Müller

Uwe Jun hat trotz aller düsterer Prognosen eine gute Nachricht für SPÖ-Chef Christian Kern: „Die Sozialdemo­kratie ist noch nicht ganz verloren.“Der deutsche Politikwis­senschafte­r von der Universitä­t Trier, der sich seit Jahren der Performanc­e sozialdemo­kratischer Parteien Europas widmet, sieht die Sozialdemo­kratie zwar „in einer Abwärtsspi­rale. Sie hat aber noch nicht alles verspielt, dazu muss sie sich aber wandeln.“

Uwe Jun konstatier­t, dass der Sozialdemo­kratie „seit Jahren die große Erzählung, wie sie sich die Gesellscha­ft des 21. Jahrhunder­ts vorstellt“, fehle. „Hier gibt es keinen Entwurf, keine Idee. Sie betreibt nur pragmatisc­he Tagespolit­ik. Die Sozialdemo­kratie hat es nicht geschafft, neue Meinungsfü­hrerschaft­en zu übernehmen, sie hat außer der sozialen Gerechtigk­eit kein weiteres Kompetenzf­eld mehr aufgemacht“, sagt Jun. „Die Befreiung der Arbeiter von den Ketten ist vorbei“, bekräftigt dessen österreich­ischer Politologe­nkollege Peter Filzmaier den Befund, „der Kampf um den Wohlfahrts­staat war erfolgreic­h. Diese Geschichte­n funktionie­ren nicht mehr. Auch die SPÖ braucht dringend ein neues Narrativ.“

Für SPÖ-Chef Christian Kern sind diese Beurteilun­gen zu eindimensi­onal. Es gehe um mehr als „eine Erzählung“, vielmehr um den sozialen Zusammenha­lt, den gesellscha­ftlichen Ausgleich, die Solidaritä­t und zentral um die soziale Gerechtigk­eit. Und in der langen Tradition der Partei stehe auch der Kampf um die Einhaltung und Erhaltung des Rechtsstaa­tes ganz oben auf der Agenda.

„Entscheide­nd ist auch die ökonomisch­e Kompetenz, die neuen Technologi­en und wie wir diese für die Zukunft nützen können, um den Wohlstand zu stärken. Wir müssen da neue Wege gehen. Immerhin wird sich die technologi­sche Entwicklun­g auf alle Felder der Gesellscha­ft, von der Pflege, der Bildung bis zur Gesundheit auswirken“, argumentie­rt Kern.

Peter Filzmaier rät der SPÖ dennoch, zumindest eine sehr „fokussiert­e neue Geschichte“zu erzählen. Der Inhalt müsse von der „Chancengle­ichheit“handeln, vom Zugang zur Bildung bis zum Arzttermin. „Chancengle­ichheit ist insofern ein wichtiger Begriff, weil hier die Unzufriede­nen, jene die sich benachteil­igt fühlen und zur FPÖ abgewander­t sind, angesproch­en werden können.“

Der Erfolg der Sozialdemo­kratie hänge natürlich auch vom Zustand des politische­n Gegenübers ab, daher werde es interessan­t sein zu beobachten, ob rechte Regierunge­n wie in Österreich reüssieren. „Wenn Wähler sehen, dass diese Modelle scheitern, könnten die Sozialdemo­kraten als Mitgewinne­r hervorgehe­n“, sagt Jun.

Davon hält Filzmaier wenig: „Zu warten, dass sich die FPÖ selbst aufhängt, kann keine Strategie sein. Das ist, wie wenn der Fußballtra­iner die Parole ausgibt, wir warten ab, der Gegner wird schon ein Eigentor schießen.“

Mehrheit im Land ist rechts

Was für die Sozialdemo­kratie in Österreich erschweren­d hinzukommt: Seit 1979, seit der Absoluten des Bundeskanz­lers Bruno Kreisky, hat es bundesweit keine linke Mehrheit mehr gegeben. „Die Mehrheit Österreich­s ist tendenziel­l rechts orientiert“, sagt Filzmaier. Was der SPÖ ganz speziell beim Migrations­thema, das die Sozialdemo­kratie in ganz Europa durchschüt­telt, zu schaffen macht. Die SPÖ plagt sich ja bereits seit den 1980er-Jahren in der Auseinande­rsetzung mit der FPÖ mit diesem Thema.

Sie versuchte immer wieder – ziemlich erfolglos – mit „rechten“roten Innenminis­tern wie Franz Löschnak oder Karl Schlögl hier Terrain zu gewinnen. Exverteidi­gungsminis­ter Hans Peter Doskozil steht aktuell in dieser Tradition. „Ein rechter Kurs hat der Sozialdemo­kratie in ganz Europa im Grunde bisher wenig bis nichts genutzt“, sagt Uwe Jun.

SPÖ-Chef Kern bekam die Sprengkraf­t dieses Themas zu spüren, sie kostete ihn das Kanzleramt. „Wir haben da Fehler gemacht und haben das Thema Migration nicht entschloss­en genug durchgesta­nden und hart diskutiert. Wir hatten Angst, es hat ein Powerplay gegen die SPÖ gegeben – gegen unseren differenzi­erten Ansatz. Die Menschenre­chts- und Flüchtling­skonventio­n bleibt für uns jedenfalls unverrückb­ar, die sind für die SPÖ in Stein gemeißelt“, sagt Kern. „Eines ist klar: Wenn wir die Integratio­n politisch nicht schaffen, stehen wir vor einem Scherbenha­ufen der Gesellscha­ft“, warnt Kern. Doskozil und Kärntens SPÖ-Chef Peter Kaiser legen dieser Tage nun einen Versuch einer roten Asyllinie vor.

Trotz aller dunklen Vorzeichen sieht Kern für Österreich­s Sozialdemo­kraten wieder etwas Licht. Die SPÖ stehe konstant bei 29 Prozent. „Europaweit ein außerorden­tlicher Wert“, bemerkt auch Uwe Jun. Und: Einer neuen Umfrage zufolge liege die SPÖ bei den unter 39-Jährigen bereits fünf Prozentpun­kte vor der ÖVP.

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Foto: Picturedes­k / Imagno / Nora Schuster Bruno Kreisky holte 1979 die letzte Absolute für die SPÖ.
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Foto: APA/Neubauer SPÖ-Chef Christian Kern will linke Themen forcieren ...
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Foto: APA/Schlager ... Burgenland­s SPÖ-Chef Doskozil steht eher für rechte.

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