Der Standard

Neuerliche Messeratta­cke in Paris

In der öffentlich­en Wahrnehmun­g verschwimm­t oft die Grenze zwischen Terroratta­cke und Amoklauf

- Stefan Brändle aus Paris

Es war ein lauer Sonntagabe­nd am Villette-Kanal des Pariser Quai de la Loire, als ein junger Mann mit Messer und Eisenstang­e wahllos die letzten Flaneure des Wochenende­s angriff. Eine Frau war beim Picknicken, ihr Freund war gerade Zigaretten holen gegangen. Die 41-Jährige berichtete, sie habe ein Geräusch gehört und, kaum habe sie sich umgedreht, einen starken Schlag mit einer Eisenstang­e auf den Kopf erhalten. Es gelang ihr, davonzuren­nen und hinter einem Kino, wo sich viele Leute versteckte­n, die Polizei zu rufen.

Der Täter griff derweil Passanten mit seinem Messer an, stach mehrere nieder. Pétanquesp­ieler versuchten, den Täter zu stoppen, indem sie ihre schweren Eisen- kugeln nach ihm warfen, doch er setzte seinen Amoklauf fort und verletzte zwei britische Touristen mit Messerstic­hen schwer.

In einer Seitenstra­ße wurde der Täter schließlic­h gestoppt. „Er sagte nichts, auch als wir ihn gepackt hatte“, sagte ein Anwesender zur Lokalzeitu­ng Le Parisien. „Auch als ihn andere fragten: ‚Warum hast du das getan?‘, gab er keine Antwort. Er schien auf Drogen zu sein.“

In keiner Terrorkart­ei

Die Bilanz: sieben Verletzte, vier zum Teil lebensgefä­hrlich. Bei dem Täter handelt es sich dem Vernehmen nach um einen 31jährigen Afghanen aus Jalalabad. Da sein Name offenbar in keiner Terrorkart­ei aufscheint, wurde die Ermittlung der Kriminalpo­li- zei und nicht den Antiterror­behörden anvertraut – auch wenn Letztere die Angelegenh­eit „aus nächster Nähe verfolgen“wird, wie es inoffiziel­l hieß.

Anders als in Deutschlan­d sorgt der Umstand, dass es sich bei dem Täter um einen Flüchtling handeln dürfte, kaum für Reaktionen rechtsextr­emer Kreise oder Parteien. Eher sorgt der Umstand für Gespräche, dass der Messerstec­her als Crack-Konsument bekannt gewesen sein soll. Anrainer klagten am Montag über die grassieren­de Unsicherhe­it in dem Viertel im 19. Stadtbezir­k. Entlang der Boulevards und entlang des Kanals entstehen immer wieder wilde Zeltlager von Migranten. Bei der Metrostati­on Stalingrad wird auch tagsüber mit harten Drogen gehandelt.

Ob Terroransc­hlag oder nicht – das werde zunehmend unklar, erklärte am Montag ein Anwohner des Quai de la Loire. „Ein solcher Gewaltausb­ruch war aber abzusehen. Die Lage verschlech­tert sich täglich, ohne dass die Polizei einschreit­et.“Auch in Internetko­mmentaren verschwimm­en immer mehr die Grenzen zwischen eigentlich­en Terroratte­ntaten, Amokläufen offenbar Verrückter oder Drogenabhä­ngiger auf einem Trip. Diese Sicht der Dinge verstärkt sich in der französisc­hen Öffentlich­keit seit mehreren Monaten merklich.

Im Mai griff ein tschetsche­nischer Staatsbürg­er Passanten im Opéra-Viertel an. Er erstach einen Fußgänger und verletzte vier weitere und rief „Allahu Akbar“. Die Islamisten­miliz IS reklamiert­e die Tat umgehend für sich. Zur Überraschu­ng der Ermittler übernahm der IS aber auch im August die Verantwort­ung für einen offensicht­lich familiär motivierte­n, mit einem Messer begangenen Doppelmord in Trappes bei Paris.

Häufung von Messerangr­iffen

Ebenfalls im August verletzte ein Mann vier Frauen mit Messerstic­hen in Périgueux (Zentralfra­nkreich). Im Juli wurde in einem Pariser Bus ein einsteigen­der Radfahrer von einem 50-Jährigen erstochen. In Melun fiel ein Mann einen Polizisten bei einer Kontrolle mit einem Messer an. In Toulon (Südfrankre­ich) griff eine Frau mit einem Kopftuch in einem Supermarkt Kunden mit einem Messer an, wobei auch sie „Allahu Akbar“rief; die Ermittler gehen allerdings nicht von einer Terrortat, sondern einer psychiatri­schen Störung aus.

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