Der Standard

Es wird eng für den Verfassung­sschützer

Mit Aussagen, die „Hetzjagden“bei den Ausschreit­ungen in Chemnitz infrage stellen, hat Verfassung­sschützer Hans-Georg Maaßen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel desavouier­t. Und das könnte Konsequenz­en haben.

- Christoph Reichmuth aus Berlin

Ich habe jetzt noch zwei Termine, dann bin ich in einem Bierzelt und dann begeben wir uns nach Berlin.“CSUChef und Innenminis­ter Horst Seehofer gab sich nach der CSU-Vorstandss­itzung am Montag in München betont gelassen. Dabei wollten doch alle Journalist­en nur wissen, was in dem Bericht steht, den der oberste Verfassung­sschützer Hans-Georg Maaßen dem Innenminis­terium in Berlin übermittel­t hatte, um sich zu erklären für seine Worte zu den Ereignisse­n in Chemnitz.

Maaßen hatte der Bild am Freitag erklärt, es lägen seiner Behörde keine belastbare­n Informatio­nen darüber vor, dass es in Chemnitz zu „Hetzjagden“gegenüber Ausländern gekommen sei. Der Geheimdien­stchef zweifelte die Authentizi­tät eines im Netz kursierend­en Videos offen an, auf dem zu sehen ist, wie ein Mann einen ausländisc­h aussehende­n Menschen verfolgt.

Maaßen widersprac­h damit in klarer und wohl auch bewusster Weise Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die stets von „Verfolgung von unschuldig­en Menschen“gesprochen hatte und deren Sprecher Steffen Seibert „Hetzjagden“verurteilt hatte. Trotz heftiger Kritik an Maaßen, der die Linie der Bundesregi­erung desavouier­e, stellte sich Innenminis­ter Seehofer stets hinter seinen Verfassung­sschutzche­f.

Seehofer hatte Montag den Bericht erhalten, „aber ich habe über seinen Inhalt noch keine Kenntnis“. Der Innenminis­ter betonte, er erwarte Aufklärung darüber, ob es in Chemnitz nun „Hetzjagden“gegeben habe. Vor allem, ob das fragliche Video authentisc­h sei. Auch das Kanzleramt erhielt einen Bericht von Maaßen.

„Benzin ins Feuer gegossen“

Was genau in diesem Dokument steht, blieb vorerst noch unklar. Angesichts der Brisanz der Angelegenh­eit stellt sich die Frage, weshalb der Bundesinne­nminister seine Priorität nach Eingang des Berichts nicht verschoben hat, um möglichst rasch Maaßens Schreiben zu analysiere­n und darüber zu informiere­n. Immerhin wird Maaßen unterstell­t, aus nichtfakte­nbasierten Behauptung­en heraus „ohne Not Benzin ins Feuer der ohnehin aufgeheizt­en gesellscha­ftlichen Debatte“gegossen zu haben, wie es der innenpolit­ische Sprecher der SPD-Bundestags­fraktion, Burkhard Lischka, formuliert­e. Maaßen, dem darüber hinaus Nähe zur Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) nachgesagt wird, wird seither mit Rücktritts­forderunge­n vonseiten der SPD, Grünen, der FDP und der Linksparte­i eingedeckt, weil er sich in der Öffentlich­keit aus eigenen Stücken und mit Kenntnis des Innenminis­ters – nicht aber der Gesamtregi­erung – mit Unterstell­ungen an die Öffentlich­keit wandte, die im krassen Widerspruc­h zur Linie der Kanzlerin stehen, dafür aber der Interpreta­tion der AfD entspreche­n. Diese hatte stets behauptet, in Chemnitz habe es keine „Hetzjagden“gegeben.

„Er wird schon seine Gründe haben“

Auch der CSU-Chef selbst steht unter Druck. Die Affäre macht abermals deutlich, wie belastet das Verhältnis zwischen Kanzlerin und Innenminis­ter ist. Anstatt sich hinter sie zu stellen, sagte Seehofer in Anspielung auf Maaßen auch am Montag wieder: „Er wird schon seine Gründe haben, warum er zu diesen Zweifeln kam.“

Unterdesse­n erneuerten Spitzen von SPD und Grünen ihre Rücktritts­forderunge­n an Maaßen. Sollte er seine Behauptung, wonach die Bundesregi­erung möglicherw­eise falschen Informatio­nen aufgesesse­n sei, nicht belegen können, „dann ist er in seinem Amt nicht länger tragbar“, sagte SPD-Chefin Andrea Nahles. Grünen-Chef Robert Habeck meinte: „Er muss entlassen werden. Wenn Herr Seehofer das nicht tut, muss Frau Merkel auch Herrn Seehofer entlassen.“

Für seinen Verbleib an der Spitze der Verfassung­sschutzbeh­örde entscheide­nd wird auch der Mittwoch: Dann muss sich der oberste Verfassung­sschützer unter anderem in der Sitzung des Innenaussc­husses im Bundestag zu Chemnitz äußern. Thema wird dort auch Maaßens angebliche Nähe zur AfD sein. Gemäß Aussagen einer AfDAusstei­gerin soll Maaßen mit mehreren Spitzenver­tretern vertraulic­he Gespräche geführt haben. Laut Handelsbla­tt seien in verschiede­nen Verfassung­sschutzämt­ern Informatio­nen und Einschätzu­ngen über die AfD in die Öffentlich­keit oder direkt zur Partei gelangt.

Der Vormarsch der extremisti­schen Kräfte bei den Wahlen in Schweden und erst recht in Italien, die Spaltungst­endenzen gefördert schen unterstütz­t Putin, Regierungs­parteien, verleihen von von rechtspopu­listi- Wladimir den in der Diskus- EU, sionen einer europäisch­en um die Suche Lösung nach des Migrations­problems und um die Verteilung der Milliarden im EU-Haushalt eine besondere Brisanz. Dazu kommen die heiklen Manöver um die Neuverteil­ung der Führungspo­sten, vor allem das Rennen um die Neubesetzu­ng der Spitzen der EU-Kommission und der Europäisch­en Zentralban­k.

Was Jahr aber vor ein der halbes Europawahl die größte Sorge auslöst, ist die Tatsache, dass die von vielen als „Retter der EU“betrachtet­en Spitzenpol­itiker – der französisc­he Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel – mit innenpolit­ischen Krisensitu­ationen konfrontie­rt sind. Macrons Umfragewer­te sind schlechter als die seines gescheiter­ten Vorgängers François Hollande im selben Vergleichs­zeitraum. Seine rhetorisch brillant vorgetrage­nen Ideen für die Zukunft der EU sind aufgrund des verstärkte­n rechtspopu­listischen und nationalis­tischen Einflusses in etlichen Ländern bisher folgenlos geblieben.

Der 40 Jahre alte Präsident Frankreich­s und seine Regierung geben aber den Kampf für Europa nicht auf. Im Gegenteil: In mehreren Reden sagte er, dass der lange und schwierige Kampf für Europa erst jetzt beginne. „Ich werde gegenüber Nationalis­ten und denjenigen, die Hassreden ver-

breiten, weichen.“minister drohte Botschafte­rkonferenz: reich Unterstütz­ung glieder gende respektier­en gemeinscha­ftliche gebunden werde Prinzipien bei leisten, keinen Jean-Yves fühlen“. Frankreich­s der keine und französisc­hen für „die Deut sich der finanziell­e jene Solidaritä­t Le grundle- zurück- EU nicht Drian Frank- Außen- Mit- nicht an

Interviews langen Kampfes kündigt. Macron und Nachdrückl­ich um hat „den schwierige­n Europa“in Beginn Reden ange- und eines warnt er ten es vor ist, fördert die Putin, EU und der zerlegen. dessen die Populis- Traum In seinem Bekenntnis Werten uneingesch­ränkten sieht zu Macron europäisch­en offensicht­lich rin als seine die wichtigste deutsche Kanzle- Verbündete in der großen Auseinande­rsetzung mit den nationalis­tischen und populistis­chen Kräften in der EU. Merkel sei „völlig auf der Seite der Fortschrit­tlichen, da gibt es keine Zweideutig­keit“. Die Europäisch­e Volksparte­i (EVP) betrachtet er als einen unsicheren Kantoniste­n: „Man kann nicht gleichzeit­ig Merkel und Orbán unterstütz­en.“

Nach den Unruhen in Chemnitz und dem Höhenflug der rechtsradi­kalen AfD ist die Position Merkels weiter geschwächt. Laut Umfragen liegt diese ausländerf­eindliche, rassistisc­he Partei in Ostdeutsch­land mit 27 Prozent bereits vor der CDU. In Bayern und Hessen holt sie vor den im Herbst fälligen Landtagswa­hlen auch stark auf. Der CSU-Parteichef und zugleich Bundesinne­nminister Horst Seehofer tut nach wie vor sein Bestes, die Autorität der Kanzlerin zu untergrabe­n. Bereits vor den EU-Wahlen erhalten Rechtspopu­listen und Nationalis­ten von Orbán bis Salvini auch internatio­nal immer mehr Zulauf.

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Für Verfassung­sschützer Maaßen könnten die Ereignisse von Chemnitz und seine mutmaßlich­e AfD-Nähe noch unangenehm werden.
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