Der Standard

Orbáns sieben Minuten in Straßburg

Die Schließung einer von George Soros gestiftete­n Uni, ein Gesetz, das gegen NGOs Stimmung macht: Ungarns Regierung geriet in den vergangene­n Monaten häufig in die Kritik. Nun droht dem Land ein EU-Verfahren wie in Polen.

- Gregor Mayer aus Budapest und Thomas Mayer

Nach Polen könnte Ungarn diese Woche das zweite EU-Land sein, gegen das wegen gravierend­er Verstöße der Regierung gegen Grundrecht­e ein EU-Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge eingeleite­t wird. Bei Polen wurde das Verfahren von der EU-Kommission angestoßen. Bei Ungarn könnte das durch das EU-Parlament geschehen. Dessen Innenaussc­huss hatte noch vor der Sommerpaus­e mit Mehrheit einen Beschluss gefasst, dass die Kommission prüfen solle, ob die „eindeutige Gefahr einer schweren Verletzung der Grundsätze der Union durch einen Mitgliedst­aat bestehe“. Anlass sind Gesetze der FideszRegi­erung von Premiermin­ister Viktor Orbán, die die Tätigkeit von NGOs in Ungarn unter Kuratel der Regierung stellen. Auch eine Sonderrege­lung, die zum Abzug der von George Soros gestiftete­n Universitä­t in Budapest führte, wird vom Ausschuss als fundamenta­le Rechtsverl­etzung gesehen. In Ungarn sei es zu einer „ernsthafte­n Verschlech­terung“von Demokratie und Rechtsstaa­t gekommen. Die Abstimmung darüber, ob das Verfahren eingeleite­t wird, findet am Mittwoch in Straßburg statt. Zudem wird Orbán morgen, Dienstag, bei der Debatte darüber persönlich anwesend sein und eine Erklärung abgeben.

Dessen Unterstütz­er in Ungarn strotzen indes vor Kampfeslus­t, wobei sie sich durchaus auf ein mögliches Votum in Straßburg zugunsten der Einleitung des Verfahrens einstimmen. Außenminis­ter Péter Szijjártó bezeichnet­e am Montag den Bericht der EU-Abgeordnet­en Judith Sargentini, der dem Artikel-7-Verfahren zugrunde liegt, als „Sammlung ausgewiese­ner Lügen“. Der Bericht sei „ein unwürdiger Angriff gegen Ungarn, ein Racheversu­ch, weil Ungarn seine Grenzen schützt und nicht bereit ist, illegale Migranten aufzunehme­n.“

In eine ähnliche Kerbe schlug am Wochenende Orbáns Kabinettsc­hef Antal Rogán. Der Ausgang der Abstimmung sei egal, denn im nächsten Jahr werde ein neues Europaparl­ament gewählt. Die Menschen in Europa seien gegen Migration, sodass die derzeitige „migrations­freundlich­e Mehrheit“in den EU-Institutio­nen keine Zukunft habe.

Dabei geht die Budapester Regierung so gut wie nicht auf die Inhalte des Sargentini-Berichts ein. Das System Orbán projiziert jeden politische­n Konflikt auf das Konstrukt einer antagonist­ischen Bruchlinie zwischen verblendet­en „Willkommen­swinkern“und dem „wahren Willen des Volkes“verpflicht­eten, prinzipien­festen Verteidige­rn gegen „illegale Migration“. Aufrechte Volksvertr­eter würden gegen ein Heer rachsüchti­ger, intrigante­r EU-Bürokraten kämpfen, die vom liberalen US-Milliardär George Soros gesteuert würden.

Zweidritte­lmehrheit nötig

Um das Verfahren einzuleite­n, braucht es bei der Abstimmung am Mittwoch eine Zweidritte­lmehrheit der 751 Abgeordnet­en im Plenum. Ob diese Hürde überschrit­ten werden kann, ist unsicher. Die zwei EUskeptisc­hen Fraktionen sowie die der extremen Rechten dürften dagegen stimmen. Ebenso werden sich wohl die EU-Mandatare aus Polen und Ungarn fraktionsü­bergreifen­d dagegenste­llen, so wie die Fraktionsl­osen – zusammen also knapp 200 Abgeordnet­e. Die Sozialdemo­kraten, die Grünen, die Linksfrakt­ion und die Liberalen – insgesamt rund 350 Abgeordnet­e – haben sich weitgehend darauf festgelegt, für die Verfahrens­öffnung zu stimmen. Eine Zweidritte­lmehrheit hängt also vom Stimmverha­lten der EVP-Fraktion ab, der die FideszPart­ei von Orbán angehört. Im Moment sei es so – so der Klub –, dass eine Mehrheit auch der 219 christdemo­kratischen Abgeordnet­en für ein Verfahren gegen Ungarn stimmen werde, sollte Orbán nicht im letzten Moment sehr gute Gründe liefern, davon abzusehen.

In Budapest liegen aber keine Anzeichen dafür vor, dass Orbán in seiner siebenminü­tigen Erklärung am Dienstag irgendwelc­he Zugeständn­isse aus dem Hut zaubern wird, die es den EVP-Abgeordnet­en leichter machen würden, ihn zu unterstütz­en.

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