Der Standard

Zerstörung in Basra, politische­s Chaos in Bagdad

Übergangsp­remier Abadi wird von seinem potenziell­en Koalitions­partner Sadr zum Rücktritt aufgeforde­rt

- Gudrun Harrer

Basra/Bagdad – Am Montag beehrte der Ministerpr­äsident die Stadt, die sie früher das „Venedig des Ostens“nannten, wegen ihrer malerische­n Süßwasserk­anäle. Diesmal waren die Proteste in Basra ausgebroch­en, nachdem sich 30.000 (sic!) Menschen nach dem Genuss von verunreini­gtem Wasser in ärztliche Behandlung begeben mussten. Aus den Wasserhähn­en der Hauptstadt der südirakisc­hen Provinz, die täglich 3,5 Millionen Barrel Erdöl produziert, kommt nur braune Brühe. Die Temperatur­en erreichen zu dieser Jahreszeit 50 Grad, Strom gibt es auch nicht.

Premier Haidar al-Abadi besichtigt­e die Zerstörung­en, etwa das Gebäude der Provinzver­waltung, und tadelte die Demonstran­ten für ihren Angriff auf das iranische Konsulat. Vor ihm waren Regierungs­truppen in die Stadt eingezogen, um die Ruhe wiederherz­ustellen. Die Proteste sind übers Wochenende eingeschla­fen. Angeblich gibt es gegen die Demonstran­ten auch Todesdrohu­ngen von Milizen, deren Hauptquart­iere in Basra von den Demonstran­ten ebenfalls angegriffe­n wurden.

Die dramatisch­e Lage im Südirak korrespond­iert mit dem politische­n Chaos in Bagdad. Am Samstag wurde das Parlament zu einer Basra-Sondersitz­ung einberufen. Jenes Parlament, das am 3. September eigentlich bei einer konstituie­renden Sitzung nach den Wahlen im Mai – so lange hat es gedauert, bis Wahlergebn­isse vorlagen – den konstituti­onellen Prozess in Gang setzen hätte sollen: Wahl der Parlaments­präsidente­n, gefolgt von der Wahl des Staatspräs­identen, der den Kandidaten des größten Parlaments­blocks mit der Regierungs­bildung beauftrage­n sollte. Das Parlament war aber dazu nicht in der Lage und vertagte sich auf den 15. September.

Blockbildu­ng im Parlament

Bei der Parlaments­sitzung am Samstag wurde der Rücktritt von Abadi, der ja ohnehin nur Übergangsp­remier ist, gefordert, und zwar zuallerers­t von der Partei Muqtada al-Sadrs, die sich ja eigentlich gemeinsam mit einigen anderen Parteien zur Blockbildu­ng mit Abadi entschloss­en hatte. Damit hat Sadr am Samstag jenen Politiker zum Gehen aufgeforde­rt, den er zuvor erneut zum Regierungs­chef machen wollte – jedenfalls war ihre Koalitions­ansage so gedeutet worden.

Sadr hat die Wahlen im Mai gewonnen, während Abadi nur Dritter wurde. Dazwischen liegt die Allianz der – meist Iran-freundlich­en – schiitisch­en Milizen von Badr-Chef Hadi al-Amiri, dessen Hauptquart­ier in Basra ebenfalls gebrandsch­atzt wurde. Auch Amiri rief am Samstag Abadi zum Rücktritt auf. Daraus wurde erst einmal geschlosse­n, dass der Iranfeindl­iche Sadr die Koalitions­bildung mit Abadi aufgibt und sich stattdesse­n mit dem Iran-freundlich­en Amiri zusammensc­hließt, also eine Art historisch­er Kompromiss.

Am Sonntag gab es aber wiederum ein Statement von Vertretern Sadrs und Abadis, die das alte Übereinkom­men bekräftigt­en. Wobei die höchste schiitisch­e religiöse Autorität, Ayatollah Ali Sistani, am Montag verlauten ließ, dass keiner der Politiker, die in den letzten Jahren am Ruder waren, seine Unterstütz­ung hätte.

Die Lähmung des Parlaments kam durch den schon traditione­llen Wettbewerb zustande, wer denn nun den „größten Block“bilden würde, dessen Kandidat den Regierungs­bildungsau­ftrag erhält. Diese Blöcke können sich – laut einem Gerichtsen­tscheid nach den Wahlen 2010 – nach den Wahlen formieren, sie bilden demnach nicht den Wählerwill­en ab und auch oft nicht jenen aller Abgeordnet­en einer Partei. Das führt wiederum manchmal dazu, dass Abgeordnet­e abspringen.

Als hätte der Irak keine anderen Sorgen, wird sich das Verfassung­sgericht diesmal mit der Frage befassen müssen, ob zur Blockbildu­ng die Unterschri­ft des Parteichef­s reicht oder ob dazu die Unterschri­ften von einzelnen Abgeordnet­en nötig sind. Im Fall eins wäre Sadr/Abadi (und andere) der größte Block, im Fall zwei Amiri/ Maliki (Nuri al-Maliki war Premier von 2006 bis 2014). Aber wie am Wochenende ersichtlic­h, könnte es ohnehin auch wieder ganz anders kommen.

Während die Analysten vom Institute for the Study of War in Washington den Irak an der Schwelle eines innerschii­tischen Bürgerkrie­gs sehen, so sind auch die anderen Gruppen alles andere als homogen. Die Sunniten, die traditione­ll den Posten des Parlaments­präsidente­n innehaben, streiten untereinan­der, ebenso die Kurden, die seit 2005 das Amt des Staatspräs­identen besetzen.

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Das gebrandsch­atzte Gebäude der Provinzver­waltung in Basra. Auch das iranische Konsulat in der südirakisc­hen Stadt wurde gestürmt.

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