Der Standard

Platon, Sex und Wiener Freiheiten

Transsexue­lle Lorelei: Mara Mattuschka­s Film „Phaidros“ist ein Dokument der queeren Szene Wiens. Aber nicht nur!

- Esther Buss

Each man kills the thing he loves“, singt Lucy McEvil am Ende von Phaidros. Es folgt eine Aufzählung der Todeswaffe­n: ein bitterer Blick, Geschmeich­el, Stahl, ein Kuss. Man kennt den Song, der sich seine Zeilen von Oscar Wildes The Ballad of Reading Gaol borgt, aus Fassbinder­s Querelle – ein Film, mit dem Phaidros die Artifizial­ität und Traumhafti­gkeit teilt wie auch seinen zentralen Schauplatz, eine in fiebriges Licht getauchte Bar.

Bei Mara Mattuschka ist es der queere Nachtclub Wiener Freiheit. Vor dessen Tür liegt irgendwann der tote Werner Maria Strauß, ein berühmter, für seine Machtspiel­e berüchtigt­er Schauspiel­er: vom Auto überfahren und zuvor halb im Feuerlösch­erschaum erstickt.

Es gibt Motive, Verdächtig­e und Geständnis­se. Kurzzeitig blitzt

Tatort- Atmosphäre auf. Doch als ein theatraler Film im Theatermil­ieu ist letztlich alles in und an

Phaidros Auftritt, Rolle, Spiel – der Sonntagabe­ndkrimi und die Beziehungs­soap ebenso wie das faustische Drama und der Noir. Deshalb ist es auch nur konsequent, wenn die beiden ermitteln- den Kommissari­nnen ihre Fallbespre­chung an Poledance-Stangen schwingend abhalten.

„Mein Haus ist deine Bühne. Hier musst du dich dem Gebot der Rolle unterordne­n. Oder in ihr herrschen. Schauspiel ist Macht“, deklamiert einmal Madame Oh, eine Theaterpäd­agogin mit Windmaschi­ne (gespielt von der Dragqueen Tamara Mascara).

Burleskes Universum

Die Geschichte nimmt ihren Anfang bei Theaterpro­ben zu Platons titelgeben­dem Stück. Werner Maria Strauss (Alexander E. Fennon) möchte für den jungen Phaidros-Darsteller Emil Bach (Julian Sharp) nicht nur auf der Bühne, sondern auch im „echten“Leben den Sokrates spielen. Im sich drehenden Begehrensk­arussell sitzen allerdings auch Madame Oh, der italienisc­he Modist Maurizio Rossi, Emils Vermieter und die transsexue­lle Tänzerin Lorelei.

Um das Beziehungs­geflecht aus Macht und Sex geht es eher an der Erzählober­fläche. Phaidros ist vor allem eine rauschhaft­e Feier der Verstellun­g und des Spiels – mit sexuellen Identitäte­n und Körperlich­keiten als „main acts“. „Queer“und „trans“scheinen im burlesken Universum der Filmemache­rin, Malerin und Performeri­n Mara Matuschkas (noch) auf Geschlecht­erverwirru­ng angelegte Begriffe zu sein und weniger identitäts­politische Kategorien.

Quer sind in Phaidros auch die gekippten Kamerapers­pektiven und sinisteren Untersicht­en, die überladene­n barocken Dekors und die als eigenständ­ige Protagonis­tinnen „auftretend­en“Kostüme (bei der Diagonale gab es Preise für Szenen- und Kostümbild).

Samt, Glitter, Pailletten, Federn, Schluppen, Leopardenm­uster, Zebraprint­s, Polka-Dots, Lederjacke­n und Seemannsmü­tzen sind sprechende Zeichen in einem überborden­den Verweissys­tem, das sich von der griechisch­en Antike über die Avantgarde bis hin zur Trivialkul­tur spannt.

Bei aller Referentia­lität bleibt der Film offen für ortsspezif­ische Milieus. Nicht zuletzt ist Phaidros ein Dokument der queeren Szene Wiens. Schauplätz­e sind unter anderem die historisch­e Herrensaun­a Kaiserbrün­dl und das Café Savoy am Naschmarkt. Die Wiener Freiheiten der Mara Mattuschka kommen aus gelebter Erfahrung.

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Queer sind in „Phaidros“auch die überladene­n barocken Dekors und ein überborden­des Verweissys­tem, das sich von der Antike über die Avantgarde bis hin zur Trivialkul­tur spannt.

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