Forscher rekonstruieren Megatsunami
2015 donnerten 180 Millionen Tonnen Gestein in einen Fjord in Alaska, in dem sich früher einmal ein Gletscher befand. Die daraus resultierende Welle war bis zu 193 Meter hoch, wie Geologen nun berichten.
Menschliche Zeugen gab es in dem Fall zum Glück nicht. Sie hätten vermutlich auch nicht überlebt, was sich am 17. Oktober 2015 am Taan-Fjord in einer abgelegenen Region im US-Bundesstaat Alaska zutrug: An diesem Tag rasten dort 180 Millionen Tonnen Gestein mit rund 160 km/h zu Tal und verdrängten das Wasser und einiges noch vorhandenes Eis.
Die vierthöchste Riesenwelle
Die Folgen waren spektakulär, wie nun ein internationales Forscherteam um Bretwood Higman (Ground Truth Trekking in Sedovia, Alaska) im Fachjournal Scientific Reports berichtet: Die Flutwellen schlugen bis zu 193 Meter an den Hängen des Tals hinauf. Der Tsunami war damit der viertgrößte der letzten 100 Jahre, hat tausende Bäume gefällt und massive Felsblöcke versetzt.
Die höchsten bekannten Tsunamiwellen wurden ebenfalls in Alaska gemessen: Am 9. Juli 1958 kam es in der Lituya Bay zu einem Erdrutsch, bei dem 90 Millionen Tonnen Gestein und Eis in die Bucht stürzten und das Wasser sogar 550 Meter weit die Hänge hochraste. Zwei Fischer, die zur Zeit des Tsunamis in der Bucht unterwegs waren, verloren ihr Leben, ein weiterer Fischer und sein Sohn überlebten das Ereignis wie durch ein Wunder.
1958 war eindeutig ein schweres Erdbeben der Auslöser der Naturkatastrophe. Im Fall des TaanFjords im Glacier-Bay-Nationalpark im Süden von Alaska liegt die Sache wohl ein wenig anders, wie die Forscher nun herausfanden. Denn vor einigen Jahrzehnten existierte der Fjord noch gar nicht: Das Tal war damals mit dem Eis des Tyndall-Gletschers gefüllt. Doch der zog sich binnen weniger Jahre und um nicht weniger als 17 Kilometer zurück.
Zwar hat sich der Gletscher vor 27 Jahren wieder einigermaßen stabilisiert, doch im neuen Tal gab es keine Stütze mehr durch das Eis, das ursprünglich bis zu 400 Meter hoch war. Das führte letztlich dazu, dass ein riesiger Hang in den Fjord stürzte. Was die Forscher bei ihren Untersuchungen in den letzten Monaten entdeckten, gibt Zeugnis von der unvorstellbaren Gewalt der Flutwelle, die auch kleinere Inseln überflutete und die Bäume darauf abrasierte. Und in den Stämmen fand man Steine, die wie Pistolenkugeln in das Holz der Bäume geschossen worden waren.
Begünstigend war wohl auch eindringendes Wasser, das zum großflächigen Abrutschen führte. Wie die Forscher rekonstruierten, gab es in der Gegend im September und Oktober 2015 starke Niederschläge. Der endgültige Auslöser könnte ein kleines Erdbeben gewesen sein: Zwei Minuten vor dem Kollaps bebte die Erde in 500 Kilometer Entfernung mit einer Stärke von 4,1. Ob das den Ausschlag gab, sei aber unklar, so die Wissenschafter, die den gewaltigen Erdrutsch (den größten nichtvulkanischen Nordamerikas) und den Megatsunami in erster Linie als Folge des Klimawandels sehen. Higman und Kollegen gehen entsprechend davon aus, dass ähnliche Ereignisse sich künftig in Alaska, Grönland, Norwegen oder Patagonien häufen könnten.
Tsunami von Nuugaatsiaq
So zerstörte erst 2017 eine bis zu 90 Meter hohe Welle den grönländischen Küstenort Nuugaatsiaq, wo vier Menschen starben. Auch in dem Fall war ein Hang über einem nahegelegenen Fjord instabil geworden und 20 Kilometer vom Dorf entfernt in den Fjord gestürzt. An der Küste waren die Wellen zwar deutlich niedriger, reichten aber aus, um eine Katastrophe anzurichten.
Ganz ähnlich war es am TaanFjord in Alaska – nur eben ohne Menschen in der Nähe.