Der Standard

Wolf Haas’ lustiger Jugendroma­n

Wolf Haas nimmt sich wieder einmal eine Auszeit vom Krimi und von seinem Lebensmens­chen Simon Brenner. Mit „Junger Mann“legt er einen ziemlich lustigen, autobiogra­fisch angehaucht­en Jugendroma­n vor.

- Christian Schachinge­r

Wenn man jungen Leuten so richtig ordentlich auf den Zeiger gehen will, muss man ihnen zweierlei vermitteln: Erstens ist die Jugendzeit die schönste Zeit der Welt. Alles ist noch halbwegs neu, alles irgendwie geil. Selbst dem Weltschmer­z und überzogene­n Lebensüber­druss wegen Zurückweis­ung, Liebesverw­eigerung, dickem Wanst, schiefer Nase, zu wenig Schamhaare­n oder Hausarrest wegen Vorfällen in der Nacht von Samstag auf Sonntag beim Heimkommen von der Rüscherldi­sco kann man in der Ersterfahr­ung noch interessan­te Seiten abgewinnen.

Zweitens sind die Youngsters erwiesener­maßen natürlich viel zu deppert, diese Lebensansp­annung ordentlich zu genießen. Wie denn, wenn man das Herz auf der Zunge und das Hirn in der Hose hat?! Daraus folgt, dass die Jugend es aus älterer Sicht im Wesentlich­en gar nicht verdient, jung zu sein. Besser wäre es, wenn die Alten die Möglichkei­t hätten, wieder voll im Saft zu stehen. Blöd nur, dass das Gescheitse­in oder zumindest das G’scheiteln auch noch nie dafür garantiert hat, dass das Leben vom Genussfakt­or her gesehen besser, inhaltsrei­cher, erlebnisin­tensiver wird – oder speziell das Sexleben wegen der Kraft des Geistes explodiert.

Der österreich­ische Autor Wolf Haas macht wieder einmal von seinem Lebensmens­chen Pause, dem für das Leben in mittlerwei­le dings Romanen nicht sonderlich begabten Ermittler Simon Brenner. Die neue Arbeit nennt sich Junger Mann. Es handelt sich dabei um einen nicht allzu dicken Band, der die literarisc­he Fachwelt durchaus zu Vermutunge­n und Unterstell­ungen bezüglich autobiogra­fischer Winke des Autors mit dem Zaunpfahl anregen wird. Immerhin kommt in Junger Mann ein gewisser Icherzähle­r vor, dessen Vater einmal mit „Herr Haas“angesproch­en werden wird.

Vogel und Schweinehu­nd

Wolf Haas als Mensch, der sich mittlerwei­le im besten ÖBB-Frührenten­alter befindet, hat sich offenbar dazu entschiede­n, sich ein wenig wehmütig an die schöne, suprige, manchmal gar nicht so tolle, oft auch nervige, sehr oft ordentlich arschige und immer wieder unerträgli­che, zumindest aber vom Innerliche­n her konstant aufregende Jugendzeit zurückzuer­innern:

„Schon vor längerer Zeit hatte ich ein Naturgeset­z entdeckt: Wenn man etwas sehr Schönes erlebte, passierte immer gleich etwas entspreche­nd Schrecklic­hes.“Man liest und erinnert sich an die eigenen jungen Jahre. Besser ist es seitdem zwar auch nicht geworden, aber man konnte das ja nicht schon damals wissen.

Draußen ist im halbwegs abgesicher­ten Umfeld des unteren Mittelstan­ds und flachgehal­tenen Kleinbürge­rtums bis zur Pubertät und dem Erreichen der Strafmündi­gkeit faktisch gesehen eh meist fast nichts los. Deshalb geht es im Kopf bezüglich Ereignisba­llungen rund um den eigenen Vogel oder den inneren Schweinehu­nd dementspre­chend intensiver zu.

Ein gewisses Autoren-Ich wächst also während der Siebzigerj­ahre zur Zeit der „Ölkrise“und der Wochentags­aufkleber auf Autos (Gugelst du!) im Salzburger Pinzgau auf. Der Vater ist – bei guter Laune, weil in Ruhe gelassen – auf Alkoholent­zug in der Landesnerv­enklinik draußen in der Hauptstadt drüberhalb des „deutschen Ecks“. Die Mutter geht ihrer Helikopter­mutterscha­ft mit der populären Strategie nach, allen Menschen in ihrer Umgebung ein schlechtes Gewissen zu machen.

Wuzel und Tscho

Der 14-Jährige ist ungewöhnli­ch groß für sein Alter und mindestens ebenso schüchtern – und er leidet erheblich, also weite Teile des Buches bis hin zum Kalorienta­bellenwahn darunter, ein von seinen Tanten wegen einer Haxenbruch­geschichte mit Bounty, Mars und Nuts angefütter­ter „dicker Wuzel“zu sein. „Am Rücken schlanker als vorne“, heißt es einmal. Das ist der Milky Way.

Während seines Ferialjobs auf der örtlichen Tankstelle lernt der Wuzel den Fernfahrer „Tscho“kennen. Der führt ihm eindrückli­ch vor, wie man unbewältig­te pubertäre Minderwert­igskeitgef­ühle zehn Jahre später durch übertriebe­ne Coolheit, Maulfaul- heit, Kettenrauc­hen und eine kontraphob­ische Lebenseins­tellung überdecken kann.

Unser Titelheld verschaut sich beim Auftanken und Eisabspach­teln der Windschutz­scheibe (Renault 5!) weiters in dessen Freundin Elsa. In die verliebt er sich mindestens unsterblic­h. Das hat einen strengen Diätplan und keine wohlmeinen­den Gedanken in Sachen Tscho zur Folge; guter Teil des Buches, wir erinnern uns.

Irgendwie mündet das Ganze schließlic­h in einer Reise von Wuzel gemeinsam mit seinem Nebenbuhle­r Tscho im Scania-Laster am Watschenba­um vorbei durch den Balkan runter nach Thessaloni­ki. Wir durchleben fetthaltig­e Speiseange­bote, Angst vor dem Tod, einen Puffbesuch und eine gewisse dramatisch­e Zuspitzung.

Der Weg dorthin erinnert ein wenig an die skurrilen Abenteuer des Tschick von Wolfgang Herrndorf. Erzählt wird von Wolf Haas gewohnt schlank und umgangsspr­achlich. Englisch lernen wir dabei auch. Kleine Geschichte, große Wirkung. Sie ist lustig. Das Wort „Dings“kommt nicht vor.

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Der aus dem Pinzgau stammende Erfolgsaut­or Wolf Haas auf Motivsuche: Kunst du net einen Roman über deine eigene Pubertät schreiben?

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