Der Standard

Nacht-und-Nebel-Aktion gegen die gelben Bänder

Sie nennen sich „Die Säuberungs­brigade“: Männer und Frauen, die in Katalonien jene gelben Bänder aus dem öffentlich­en Raum entfernen, die für sie bloß Symbole autoritäre­r und engstirnig­er Politik gegen Spanien sind.

- Reiner Wandler aus Canet de Mar

Ein Dutzend weißgeklei­deter, völlig vermummter Gestalten mit Messern, Sicheln und Rechen zieht im spärlichen Licht der Straßenlat­ernen von der Kirche die Allee von Canet de Mar entlang. Sie sind in den katalanisc­hen Badeort 45 Autominute­n nördlich von Barcelona gekommen, um gelbe Bänder zu entfernen – sie wurden von den Befürworte­n der Unabhängig­keit von Spanien an den Bäumen befestigt. Gelb steht für die Solidaritä­t mit den Politikern und Aktivisten, die im Laufe des vergangene­n Jahres wegen „Rebellion“inhaftiert wurden – oder, wie der katalanisc­he Ex-Regierungs­chef Carles Puigdemont, ins Ausland flüchteten, um diesem Schicksal zu entgehen.

„Säubern“, „aufräumen“, „dekontamin­ieren“nennen die Vermummten, was sie in dieser Nacht da machen. Deshalb haben sie die weißen Overalls, die Brillen und Atemschutz­masken gewählt, die auch diejenigen trugen, die nach einem Tankerungl­ück Spaniens Nordwestkü­ste säuberten. Es ist tiefe Nacht, 2.30 Uhr am 11. September, dem katalanisc­hen Nationalfe­iertag „La Diada“. Später wird es in Barcelona und anderen Städten der Region zu Großdemos kommen.

Sie heißen Natali, Deray, Paco, José Manuel – oder nennen sich zumindest so. „Nachnamen gibt es keine, aus Sicherheit­sgründen“, erklärt einer von ihnen, der nicht einmal will, dass ein Radiojourn­alist seine Stimme aufnimmt. „Danach identifizi­eren sie mich und verfolgen mich“, fügt er hinzu. „Sie“– das sind die Befürworte­r der Unabhängig­keit, die „Independen­distas“.

„Aus Liebe zur Verfassung“

Die Truppe nennt sich „Säuberungs­brigade“. Ihr Anliegen: „Der öffentlich­e Raum muss neutral sein.“Deshalb sammeln sie den „gelben Müll“ein. „Aus Liebe zu Spanien und zur Verfassung“, sagt eine Frau, die sich als Viki vorstellt, 63 Jahre alt sei und als Wohnungsma­klerin arbeite.

Die Aktion hat drei Stunden zuvor auf einer abgelegene­n Tankstelle unweit der Autobahn in Mataró begonnen. Keiner kommt direkt aus dem Ort. Sie sind alle von außerhalb angereist. Zwei von ihnen teilen die Truppe ein, geben REPORTAGE:

Anweisunge­n, wer Bändchen und Transparen­te schneiden darf und wer den „gelben Müll“anschließe­nd einsammeln muss.

„Wir kommen aus unterschie­dlichsten politische­n Richtungen. Uns eint, dass wir die spanische Verfassung verteidige­n“, erklärt der Koordinato­r, der sich als „Paco“vorstellt, aber von allen „Manel“gerufen wird. Er selbst komme von den rechtslibe­ralen Ciudadanos. Außerdem seien da Leute vom konservati­ven Partido Popular (PP) sowie von Vox und Partit per Catalunya. Die beiden Letzteren stehen so weit rechts- außen, dass selbst der Chef des PP in Katalonien Xavier Albiol – eine Art katalanisc­her Le Pen – Ciudadanos vorwirft, sich mit „Rechtsradi­kalen gemeinzuma­chen“.

Der Koordinato­r freilich sieht darin kein Problem. „Wir alle lieben die Verfassung und Spanien“, beendet er die unangenehm­e Fragerei. Die gelben Bändchen seien Zeichen eines autoritäre­n Konzepts von „Einheitsge­sellschaft“– und ihnen daher verhasst.

Es sind die vor über zehn Jahren in Katalonien entstanden­en Ciudadanos, die hinter den „Säuberungs­brigaden“oder „Gruppen für Verteidigu­ng und Widerstand“, wie sie sich auch nennen, stecken. Parteichef Albert Rivera und die katalanisc­he Parteiführ­erin Inés Arrimadas selbst ließen sich vor wenigen Tagen beim Bändchensc­hneiden filmen.

Die Aktionen nahmen zu, als die Ciudadanos in Umfragen unter Druck geriet. Nach dem spektakulä­ren Ergebnis bei den katalanisc­hen Regionalwa­hlen im September 2017, bei denen die Rechtslibe­ralen stärkste Kraft wurden, stiegen sie auch im restlichen Spanien unaufhalts­am in der Wählerguns­t. Rivera sah sich bereits als Regierungs­chef in Madrid – doch es kam anders: Die gesamte Opposition, mit Ausnahme von Ciudadanos, stürzte Anfang Juni mit einem Misstrauen­svotum die konservati­ve Regierung von Mariano Rajoy und wählte den Sozialiste­n Pedro Sánchez zu dessen Nachfolger – unter ihnen auch die Abgeordnet­en der Unabhängke­itsparteie­n Katalonien­s.

Mit den Säuberungs­aktionen und mit Besuchen in kleinen Orten, in denen die Befürworte­r der Loslösung von Spanien die überwältig­ende Mehrheit haben, geriet die Partei Riveras wieder in die Schlagzeil­en. In den Umfragen verliert sie dennoch stetig.

Was wie ein Katz-und-MausSpiel aussieht zwischen denen, die gelbe Bändchen in Solidaritä­t mit den „Gefangenen und Exilierten“aufhängen, und denen, die sie abschneide­n, hat sozialen Sprengstof­f. Immer wieder kam es zuletzt zu heftigen Wortgefech­ten und teils auch zu Handgreifl­ichkeiten.

Das ging so weit, dass im Juli ein Pkw über den belebten Platz der Stadt Vich raste und dort mehrere Reihen von gelben Kreuzen ummähte. „Wir können doch nicht von den gelben Schleifen zu schwarzen Schleifen übergehen!“, mahnte selbst der neue Vorsitzend­e des PP, Pablo Casado, in Madrid.

„Es gilt Meinungsfr­eiheit“

Die Nacht bleibt ruhig. Auch wenn die Leute im Overall bei jedem Passanten Independen­distas befürchten, die sich „unsere Autokennze­ichen aufschreib­en, um herauszube­kommen, wer wir sind“.

Eine Gruppe Jugendlich­er auf einer Parkbank in Canet de Mar staunt nicht schlecht, als die weiße Truppe auftaucht. „Zuerst dachten wir, sie würden die Bäume mit Pflanzensc­hutzmittel besprühen, dann sahen wir die Kameras und vermuteten Dreharbeit­en für ein Musikvideo“, erklärt einer. Erst dann hätten sie verstanden, dass es um die gelben Schleifen ging. „Ich würde keine Schleifen aufhängen – aber abhängen würde ich sie auch nicht. Schließlic­h herrscht doch Meinungsfr­eiheit“, meint einer von ihnen, bevor sie wieder ins Gespräch miteinande­r versinken.

Newspapers in German

Newspapers from Austria