Der Standard

Die neue Allianz im Osten

Russland startet das größte Militärman­över seiner Geschichte – mit chinesisch­er Beteiligun­g. Zugleich besprechen Wladimir Putin und Xi Jinping die weitere Ausgestalt­ung der künftigen Beziehunge­n beider Länder.

- André Ballin aus Moskau

Am Dienstag fiel in Sibirien der Startschus­s für das Truppenman­över „Wostok 2018“. Rund 300.000 russische Soldaten, fast ein Drittel der gesamten Streitkräf­te, üben sechs Tage lang in Sibirien und Russlands Fernem Osten den Kampf in Großverbän­den. Das Manöver wird in zwei Etappen geteilt: Zunächst werden die Mobilisier­ung und der Aufmarsch geübt – wobei die Truppentei­le lange vor dem offizielle­n Beginn in ihre Einsatzgeb­iete eingerückt sind. In der zweiten Etappe wird dann überprüft, wie sich die verschiede­nen Truppengat­tungen im Einsatz koordinier­en lassen.

Das russische Verteidigu­ngsministe­rium verspricht ein wahrhaft grandioses Spektakel: 36.000 Militärfah­rzeuge, mehr als 1000 Flugzeuge und Hubschraub­er sowie rund 80 Schiffe der Pazifikund Nordmeerfl­otte gehen gleichzeit­ig ins Gefecht. Es ist das größte Manöver in der Geschichte des neuen Russlands.

Wostok 2018 wartet mit noch einem Novum auf: Erstmals beteiligen sich an einem Manöver dieser Größenordn­ung auch ausländisc­he Streitkräf­te, die nicht der GUS angehören. Mit dabei sind nämlich Soldaten aus der Mongolei und China. Das Reich der Mitte stellt für das Manöver rund 3000 Soldaten ab. Zudem wurden immerhin 900 Panzer, 24 Hubschraub­er und sechs Flugzeuge nach Russland geschickt. Für die 2,3 Millionen Soldaten zählende chinesisch­e „Volksbefre­iungsarmee“ist das keine große Anstrengun­g. Umso größer ist der symbolisch­e Wert.

Treffen in Wladiwosto­k

Es ist kein Zufall, dass sich am Tag des Manöverbeg­inns Russlands Präsident Wladimir Putin und Chinas starker Mann Xi Jinping in Wladiwosto­k trafen. „Wir haben ein Vertrauens­verhältnis in den Bereichen Politik, Sicherheit und Verteidigu­ng. Wir wissen, dass Sie der Entwicklun­g der russisch-chinesisch­en Beziehunge­n persönlich große Aufmerksam­keit schenken“, pries Putin seinen Gast beim Treffen in Wladiwosto­k, wo der Kreml seit 2015 im Herbst das Eastern Economic Forum (EEF) als Ausdruck seiner politische­n und wirtschaft­lichen Wende gen Osten abhält.

Das EEF hat sich inzwischen tatsächlic­h zu einer internatio­nalen Plattform gemausert. Neben Xi Jinping nehmen auch Japans Premier Shinzo Abe, der mongolisch­e Präsident Chaltmaagi­in Battulga und der südkoreani­sche Premier Lee Nak-yeon teil. Bis zuletzt wur- de sogar trotz mehrfacher offizielle­r Dementis gemunkelt, dass Nordkoreas Staatschef Kim Jongun als Sensations­gast in Wladiwosto­k auftaucht.

Da Kim der Veranstalt­ung fernblieb, ist Xi Jinping der Stargast der Russen. Auch er ist das erste Mal beim EEF, betonte aber, dass die chinesisch­e Delegation die größte sei und Russland und China eine enge Freundscha­ft verbinde, die sich daran zeige, in schweren Zeiten einander beizustehe­n.

Tatsächlic­h hat sich das russisch-chinesisch­e Verhältnis zumindest auf politische­r Ebene rasant gewandelt. Zwischen den beiden Staatschef­s ist es bereits das 27. Treffen, was durchaus auch auf Xis persönlich­e Aktivität zurückzufü­hren ist. Nachdem er 2013 vom Nationalen Volkskongr­ess zum Staatspräs­identen gewählt worden war, machte er seine erste Auslandsre­ise nach Russland.

Kurz darauf wurde Russland infolge der Krim- und Ukraine-Krise mit westlichen Sanktionen abgestraft und vollführte fast zwangsläuf­ig die schon lange zuvor postuliert­e Wende gen Osten. Peking ist Moskaus einziger Handelspar­tner, dessen Umsatz deutlich über dem Vorkrisenn­iveau liegt. „Heuer werden wir höchstwahr­scheinlich auf 100 Milliar- den Dollar kommen“, sagte Putin. Dem Ziel, die Wirtschaft zu diversifiz­ieren, ist der Kreml mit der Partnersch­aft aber nicht nähergekom­men. Auch gegenüber China hat Russland vornehmlic­h die Rolle des Rohstoffli­eferanten und Absatzmark­tes inne. Neben Öl, Gas und Kohle interessie­ren sich die Chinesen für Holz, das in den sibirische­n Wäldern massiv gefällt und über die Grenze geschafft wird. Im Gegenzug liefert China vor allem fertige Waren. Durch die westlichen Sanktionen ist China aber auch als Lieferant von Maschinen für Russland von immer stärkerer Bedeutung.

Doch es gehe nicht nur um Handel und Wirtschaft, betont der einflussre­iche Moskauer Politologe Sergej Karaganow. Auch die politische und philosophi­sche Orientieru­ng auf Europa habe sich „erschöpft“, meint er. „Russland ist von seiner Genetik her eine autoritäre Großmacht. Das müssen wir ruhig bekennen und als Vorteil nutzen“, sagte er in einem Interview mit der russischen Zeitschrif­t Ogonjok. Statt sich auf ein stagnieren­des Europa zu fokussiere­n, müsse Russland die Chancen in Asien ergreifen, fordert er. Neues Machtzentr­um werde China sein, auf dessen Zusammenar­beit Russland setzen solle. Zumal der Osten „nicht an politische­m und kulturelle­m Missionier­ungswahn leidet“, fügte Karaganow hinzu, womit er das aus russischer Sicht größte Manko der westlichen Politik artikulier­te.

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Wostok 2018 ist das größte Militärman­över in der neuen Geschichte Russlands und begrüßt als Gäste unter anderem auch China – eine Ansage an den Westen.
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