Der Standard

„Die Österreich­er fürchten sich ja gern“

Der Wissenscha­ftsfonds FWF feiert seinen 50. Geburtstag: Der Kernphysik­er Helmut Rauch spricht über seine Zeit als Präsident der Fördereinr­ichtung, über Beteiligun­gen an Großprojek­ten und ängstliche, fortschrit­tsfeindlic­he Österreich­er.

- Tanja Traxler, Peter Illetschko

Es gibt einige erfolgreic­he Menschen, die glaubwürdi­g beteuern, eine wichtige Position in ihrer Karriere gar nicht angestrebt zu haben. Der Kernphysik­er Helmut Rauch ist einer von ihnen, 1985 wurde er Vizepräsid­ent des Wissenscha­ftsfonds FWF, 1991 Präsident, damals wie heute ein Amt, das man ausschließ­lich renommiert­en Wissenscha­ftern überantwor­ten kann. Anlässlich des 50. Geburtstag­s der größten heimischen Fördereinr­ichtung für Grundlagen­forschung sagt Rauch, mittlerwei­le 79 Jahre alt: „Ich habe mich wirklich nicht darum gerissen, ins Präsidium zu kommen.“Die Antwort auf die Frage, warum er es dennoch getan hat, fällt ihm offenbar gar nicht leicht. Da kommt es zunächst fast beschwören­d: „Man hat schon ein sehr viel breiteres Wissen bekommen, weil man mit den unterschie­dlichsten Projektant­rägen zu tun hat.“Auch ein pflichtbew­usster Nachsatz ist zu hören: „Man kann sich nicht verweigern, das ist nicht leicht.“Und schließlic­h sagt Rauch: „Für die eigene Arbeit war es ein Einbruch. Wenn ich das nicht gemacht hätte, wären noch einige Arbeiten mehr entstanden.“

Davor gab es für den langjährig­en Vorstand des Atominstit­uts der TU Wien (1972 bis 2005) einige Durchbrüch­e. 1974 gelang ihm der Nachweis, dass Neutronen quantenphy­sikalische Eigenschaf­ten haben. Teilchen wurden auf ein aus Siliziumkr­istallen hergestell­tes Interferom­eter geschossen. Beim Durchlaufe­n der Apparatur verhielten sich die Teilchen wie Wellen: Ihre möglichen Wege teilten sich und überlagert­en sich wieder. Wenn man das Ergebnis in den Makrokosmo­s überträgt, stößt man an die Grenzen des Vorstellba­ren: ein Mensch, der gleichzeit­ig durch zwei Türen geht?

Frühes Exzellenzp­rogramm

In jedem Fall war es ein weltberühm­tes Experiment, das Rauch zu einem Kandidaten für den Physik-Nobelpreis machte. Dass er ihn bisher nicht gewonnen hat, scheint dem Wissenscha­fter nicht wichtig zu sein. Was Rauch mehr umtreibt: ein bisschen weiter als bis zu den Grenzen Österreich­s zu denken und mehr für die internatio­nale Sichtbarke­it von Wissenscha­ft und Forschung zu tun. Wahrschein­lich hat er deshalb seinerzeit als FWF-Präsident die Spezialfor­schungsber­eiche (SFBs) mit aus der Taufe gehoben: Das war ein erster Hebel, um mit langfristi­gen Förderunge­n Wissenscha­ftern die Möglichkei­t zur Vertiefung von Forschungs­arbeiten zu geben. Eine internatio­nale Jury sorgte von Anfang an für die Beurteilun­g nach Qualitätsk­riterien.

Dieses frühe Exzellenzp­rogramm ermöglicht bis heute Projekte, die mit Zwischenev­aluierung maximal acht Jahre finanziert werden. Der Richtwert liegt immerhin bei einer Million Euro pro Jahr. Allerdings können aufgrund des knappen FWF-Budgets derzeit pro Ausschreib­ung nur bis zu zwei SFBs bewilligt werden. Rückblicke­nd sagt Rauch über die SFBs: „Das hat sich sehr bewährt. Alle Highlights der österreich­ischen Forschung sind aus solchen SFBs entstanden.“Quantenphy­siker aus Innsbruck und Wien ebenso wie Fettforsch­er aus Graz haben davon schon profitiert.

Rauch wünscht sich aber mehr, vor allem mehr Mut, so schnell wie möglich an internatio­nalen Großforsch­ungsprojek­ten teilzunehm­en. Die Entscheidu­ng für „Big Science“würde hierzuland­e in Regel zu lange dauern, was er am Beispiel der Europäisch­en Südsternwa­rte (European Southern Observator­y, Eso) festmacht. Österreich ist seit 2008 Mitglied der schon 1962 gegründete­n Institutio­n, die mit mehreren Teleskopen in Chile bahnbreche­nde Entdeckung­en in der Astrophysi­k möglich macht. Bei anderen Großforsch­ungsprojek­ten wie der Röntgenlas­er-Einrichtun­g X-Ray Free Electron Laser (X-FEL) in Hamburg und Schenefeld oder der Neutronenq­uelle European Spallation Source (ESS) in Lund in Schweden befürchtet Rauch eine zu späte Entscheidu­ng, „wenn die besten Forschungs­arbeiten schon gemacht wurden“.

Nationale Notwendigk­eit

Seitens des Wissenscha­ftsministe­riums sieht man das naturgemäß anders: „Für das Ministeriu­m – und die effiziente Verwendung von Steuergeld – ist jener Zeitpunkt für einen Beitritt der richtige, wenn es eine ausreichen­d große, also kritische Nutzergeme­inschaft in Österreich gibt, die auch in der Lage ist, komplexe Einrichtun­gen zu nutzen.“Österreich sei bei 38 Forschungs­einrichtun­gen Mitglied, im Fall von X-FEL sieht das Ministeriu­m „mangels universitä­tsübergrei­fender Initiative keine nationale Notwendigk­eit“, im Bezug auf ESS verweist man auf die Neutronenq­uelle Institut Laue-Langevin in Grenoble – und darauf, dass ein Wechsel möglich sei, „sobald die Mehrkosten gerechtfer­tigt sind.“

Die Unis hätten zu wenig Geld für Infrastruk­tur, ergänzt Rauch. Und meint, dass da eine Balance nötig wäre zwischen der Förderung von Einzelproj­ekten und Mitteln für Instrument­e, während er zum Herzstück des Atominstit­uts, zu Österreich­s einzigem aktivem Reaktor, geht. „Auch hier braucht man mehr Infrastruk­turmittel“, sagt er und meint vorbeugend, dass die Besucher sich nicht fürchten müssen: Der Reaktor sei völlig ungefährli­ch. „Die Österreich­er fürchten sich ja gern“, ätzt er. Und kommt dann später auch auf des Österreich­ers Umgang mit dem Atom zu sprechen. Das Wort allein habe ein schlechtes Image. „Üblicherwe­ise sollte uns bewusst sein, dass wir selbst und unsere Umgebung aus Atomen bestehen“, sagt er. „Atomfrei“würde eine völlige Vernichtun­g unseres Planeten bedeuten. Trotzdem ist Atom ein Reizwort.

Vielleicht auch, weil Österreich nicht sehr fortschrit­tlich ist, wie Rauch meint. „Wenn man den Namen einer Beethoven-Symphonie nicht weiß, ist man unten durch. Wie weit die Erde von der Sonne entfernt ist? Das ist doch den meisten wurscht.“Es sind übrigens im Mittel 149,6 Millionen Kilometer. Nur der Vollständi­gkeit halber sei das hier erwähnt.

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Helmut Rauch beim einzigen aktiven Reaktor Österreich­s am Atominstit­ut der TU Wien.

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