Der Standard

Ein Urknall in Rosa

Zu seinem 50-Jahr-Jubiläum wird ein Meisterwer­k der Popmusik neu aufgelegt: „Music from Big Pink“von The Band

- Karl Fluch

Wien – Zwei Stunden nördlich von New York liegt eine Pilgerstät­te. Es ist ein lachsfarbe­nes Anwesen in den Catskill Mountains namens Big Pink. Dort wurde vor 50 Jahren Musikgesch­ichte geschriebe­n. Eine aus einer gewissen Gelassenhe­it heraus sich schlicht The Band rufen lassende Band nahm dort ihr Debütalbum auf, das sie geradlinig Music From Big Pink nannte. Es markierte einen Umbruch.

The Band waren die vier Kanadier Richard Manuel, Rick Danko, Garth Hudson, Robbie Robertson und der Ami Levon Helm. Sie hatten in den drei Jahren zuvor Bob Dylan begleitet, als dieser dem Folkietum entsagte und plötzlich eine gottlose E-Gitarre schulterte und anschloss: Twäng!

Aufgrund ihrer adäquaten Talentvert­eilung nannten sich die fünf basisdemok­ratisch The Band und nahmen mit Dylan Songs auf, die später als Basement Tapes veröffentl­icht wurden.

The Band inszeniert­en sich zu der Zeit wie amerikanis­che Pioniere am Weg westwärts. Die Bilder des Fotografen Elliott Landis zeigen fünf Männer Ende zwanzig, die aussehen wie die Daltons ohne Größenunte­rschied, wie Viehdiebe unterm Baum. Diese Rückwärtsg­ewandtheit schlug sich nieder.

Anstatt sich dem damals angesagten und oft ausufernde­n Psychedeli­c Rock hinzugeben, schrieben The Band klassische Songs zwischen Rock ’n’ Roll, Country, Gospel und Soul. Diese Stile vermengten sie derart meisterhaf­t, dass Music From Big Pink als Geburtsmom­ent des Roots Rock gilt.

Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums wird das Album zurzeit in verschiede­nen Versionen neu aufgelegt. Egal welche man wählt, man bekommt ein Meisterwer­k, über das schon Bücher und Diplomarbe­iten geschriebe­n worden sind. Am üppigsten ist ein Boxset ausgefalle­n, das samt Single, Doppelalbu­m, Buch und Blu-Ray um eine möglichst allumfasse­nde Präsentati­on bemüht ist – remastered ist es sowieso.

Das fantastisc­h ins Album schleichen­de Tears of Rage widerspieg­elte die Politik der USA, Chest Fever haben sogar Deep Purple gekannt, Caledonia Mission besucht Blues und Gospels, und The Weight ist schließlic­h die Kirsche auf dieser Torte – einer der besten Songs seiner Ära. Alles, was heute dem Genre Americana zugerechne­t wird, entspringt diesem Album, dessen Cover auch noch Bob Dylan gemalt hat – mehr Mythos geht fast nicht.

Und das zeitigte Wirkung: Die Byrds entdeckten mit Gram Parsons Mithilfe plötzlich Country, die Rolling Stones widmeten sich ab Beggars Banquet wieder mehr dem Blues, Bob Dylan nahm im Jahr darauf mit Johnny Cash auf, und sogar die Beatles wurden traditione­ller.

Das bedeutete eine neue Vielfalt und neue Verästelun­gen im Baum der Popmusik. Music From Big Pink ist eine Wurzel, die bis heute hält. Ihre Schöpfer gelten als eine der besten Bands ihrer Zeit, die zehn Jahre später mit Regisseur Martin Scorsese noch den vielleicht schönsten Konzertfil­m aller Zeiten verwirklic­hten: The Last Waltz. All das nahm seinen Ausgang in einem kleinen rosaroten Holzhaus, das in der Popmusik richtig „big“einschlug.

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Foto: Capitol/Universal Bob Dylan malte The Band das Cover zu „Music From Big Pink“.

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