Der Standard

Das neue Kraftzentr­um

- André Ballin

Mit einem gewaltigen Truppenman­över demonstrie­rt Russland wiedergewo­nnenes militärisc­hes Potenzial und Selbstbewu­sstsein. „Schaut her, wie stark wir wieder sind“, lautet das Signal an den Westen, mit dem sich die politische Elite Moskaus in den Jahren der Ukrainekri­se und Sanktionen mehr und mehr entfremdet hat. Gestärkt wird das Hochgefühl durch die Teilnahme Chinas an der Gefechtsüb­ung. Denn dies ist gewisserma­ßen die Manifestat­ion eines vom Kreml lange angekündig­ten Manövers: die Wende gen Osten.

Lange Zeit war diese Wende mehr eine Drohung, mehr rhetorisch­e Formel als praktische Umsetzung. Doch die stetige Kritik und die zunehmende politische und wirtschaft­liche Isolierung Moskaus durch den Westen haben der russischen Führung in ihrem Selbstvers­tändnis kaum eine andere Wahl gelassen, als die Freundscha­ft zum erstarkend­en Nachbarn zu suchen. China sei ohnehin der Markt der Zukunft, begründen Moskauer Politologe­n die Wendung flugs.

Tatsächlic­h entsteht so im Osten Eurasiens ein neues Kraftzentr­um, politisch freilich ein konservati­ves und kein progressiv­es. Und auch wirtschaft­lich wird kaum eine Modernisie­rungspartn­erschaft daraus, die Europa Russland noch vor einigen Jahren angeboten hat. Der Motor brummt nämlich nur in China, während Russland in dieser Allianz allein als Treibstoff­lieferant dient.

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