Der Standard

Der Pakt der Kemalisten

- Markus Bernath

Ein Dolchstoß in den Rücken – anders lässt sich der abrupte Führungswe­chsel bei der türkischen Tageszeitu­ng Cumhuriyet nicht beschreibe­n. Jene, die für ihre kritischen Artikel und Karikature­n gegen die Herrschaft von Tayyip Erdogan erst lange in Untersuchu­ngshaft saßen und dann in einem Schauproze­ss zu Gefängniss­trafen verurteilt wurden, haben nun eine Leitung vorgesetzt bekommen, die offensicht­lich durch den Präsidente­npalast arrangiert worden ist.

„Sie können Cumhuriyet nicht einschücht­ern. Die Zeitung wird weiterhin ihren Lesern die Wahrheit sagen“, hatte der Vorstandsc­hef von Cumhuriyet, Akin Atalay, nach seiner Freilassun­g nach 500 Tagen Untersuchu­ngshaft im April dieses Jahres verkündet. Er hatte unrecht. Die letzte große regierungs­unabhängig­e Zeitung der Türkei ist einfach umgepolt worden.

Die alte nationalis­tisch-kemalistis­che Riege, die das weitgehend aus der Öffentlich­keit verbannte Blatt nun führt, ist kaum Erdogan-freundlich. Aber sie ist dem autoritär regierende­n Staatschef und seinem System verpflicht­et. Und diese Riege ist im Grunde ebenso autoritär im Geist, wie Ahmet Insel, einer der liberalen türkischen Intellektu­ellen, feststellt­e, der sogleich seine Mitarbeit bei der Zeitung aufkündigt­e. Das ist auch der tiefere Grund für die Entmachtun­g von Cumhuriyet: ein Handel zwischen der alten Elite und der heutigen politische­n Führung.

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