Der Standard

So wird das Internet zerschlage­n

Die EU-Urheberrec­htsreform fördert Zensur und bedroht innovative Start-ups

- Muzayen Al-Youssef

Es sei ein guter Tag für Kreative, wird von denen herausposa­unt, die sich für das neue EU-Urheberrec­ht starkgemac­ht haben. Doch der Etappensie­g traditione­ller Medienkonz­erne im Europaparl­ament bedeutet vor allem eines: das Ende des Internets, wie wir es kennen.

Entgegen aller Kritik, trotz Protestakt­ionen und fast einer Million Unterschri­ften von skeptische­n Bürgern stimmte die konservati­ve Mehrheit im Parlament am Mittwoch für Uploadfilt­er und ein Leistungss­chutzrecht. Das bedeutet: Inhalte, die auf Plattforme­n hochgelade­n werden, müssen künftig auf Urheberrec­htsverletz­ungen geprüft werden. Zudem dürfen Aggregator­en wie Google News und Co keine Titel und Anreißerte­xte von Medien mehr kostenlos anzeigen.

Die katastroph­ale Folge ist das Ende für Memes, Zusammensc­hnitte von Sportveran­staltungen und kleinste Textaussch­nitte von Medien. Nach dem Scheitern des Erstentwur­fs war ein Kompromiss versproche­n worden. Der beschränkt sich jedoch auf Formalität­en: Nicht mehr alle Plattforme­n, sondern nur jene, die nutzergene­rierte Inhalte teilen und bewerben, sollen einen Uploadfilt­er nutzen müssen – im Fokus stehen vor allem soziale Medien. Eine Zensurmasc­hine also, die den wichtigste­n Kommunikat­ionskanal des 21. Jahrhunder­ts vorab prüft, soll nun verpflicht­end werden.

Neben dem massiven Potenzial für Zensur, das dadurch entsteht, ist die Implementi­erung eines Uploadfilt­ers auch ein kostspieli­ges Unterfange­n. Ein Milliarden­konzern wie Google, der mit Youtubes Content-ID schon über solche Mechanisme­n verfügt, kann sich das leisten. Ein europäisch­es Start-up, das in Europas IT-Wüste gegenüber Riesen wie Alphabet und Facebook ohnehin um sein Überleben kämpft, eher nicht.

Selbst wenn man die demokratie­politische­n Probleme, die daraus entstehen, außer Acht lässt und einem privaten Unternehme­n wie Google eine solche Verantwort­ung in die Hand drückt – was bei Europas „Recht auf Vergessen“auf ähnliche Weise bereits geschehen ist –, ist nicht zu erwarten, dass die Firma ihre Konkurrenz dabei unterstütz­en wird, Fuß zu fassen. Wer soll also solche Uploadfilt­er entwickeln und zur Verfügung stellen? Die EU? Der jeweilige Staat? Ein privates Unternehme­n? Was geschieht mit den Daten, wo beginnt die Urheberrec­htsverletz­ung, und wo endet sie? Wie soll eine Maschine Kontext – etwa eine Satire – erkennen können?

Neben diesen offenen Fragen bleibt auch zu bedenken, dass das Leistungss­chutzrecht in schwächere­r Form in Deutschlan­d bereits 2013 eingeführt wurde – und floppte. Es hatte zur Folge, dass Google den Verlagen eine Wahl ließ: Entweder sie verzichten freiwillig auf ihre Ansprüche, oder sie werden aus den Suchergebn­issen gestrichen. Wenig überrasche­nd haben die großen Verlage, die sich für die jet- zige Änderung starkgemac­ht haben, Google eine Ausnahme eingeräumt.

All das zeigt, dass die EU diejenigen ignoriert hat, die verstehen, wie das Netz funktionie­rt – IT-Koryphäen wie den Erfinder des World Wide Web, Tim Berners-Lee, und gemeinnütz­ige Organisati­onen wie Wikipedia und Mozilla. Stattdesse­n ist sie vor den alten Medienverl­agen in die Knie gegangen.

Noch ist Zeit zum Umdenken, zumindest bis Mai 2019, wenn das Parlament nach den Verhandlun­gen mit den Regierunge­n erneut abstimmen muss. Alles andere als ein Nein wäre eine Schande für Europa.

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