Der Standard

Ein Berserker als Bert Brecht

Er gilt als das Arbeitstie­r unter den deutschen Schauspiel­ern. Nun ist Lars Eidinger im Spielfilm „Mackie Messer“als Bert Brecht zu sehen. Das kommt der Selbstinsz­enierung des Berliners durchaus entgegen.

- Michael Pekler

Bert Brecht hat eigentlich nicht viel zu tun. Die Menschen durchschau­end durch die Rundbrille blicken, unentwegt Zigarre paffen, süffisant lächeln und dem Filmproduz­enten seiner Dreigrosch­enoper die Aufgaben der Kunst erklären. Im Freundeskr­eis mit Kurt Weill und Lotte Lenya den Faschisten die Stirn bieten. Die Abschiedse­rklärung an Deutschlan­d, seine schmerzhaf­te Hinterlass­enschaft An die Nachgebore­nen („Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!“) hört man am Ende des Films im Originalto­n. Da hat der Reichstag schon gebrannt. Dass im aktuellen Kinospielf­ilm Mackie Messer die wenig publikumsw­irksame Rolle Brechts vom Publikumsm­agneten Lars Eidinger übernommen wurde, fügt sich dennoch bestens.

Denn passenderw­eise stammt Eidingers Leitspruch, wie schon vor Jahren bekundet, von niemand Geringerem als vom deutschen Jahrhunder­tdichter, den er rechtzeiti­g zum Kinostart gleich zum Heiligen erklärte: „Die Widersprüc­he sind unsere Hoffnung.“Das klingt nicht nur gut, sondern stimmt auch irgendwie – und vor allem Widersprüc­he kann man Eidingers steiler Theaterund Filmkarrie­re mit Sicherheit nicht absprechen. Lars Eidinger gilt als Arbeitstie­r, und wer auf deutschen Leinwänden so präsent ist wie der 42-jährige gebürtige Westberlin­er, der hat ohnehin mit Widerspruc­h zu rechnen.

Verehrter Hamlet

Auch in den nächsten Wochen kommt man im Kino an Eidinger nur schwer vorbei: Neben Mackie Messer – mit einem hervorrage­nd schmierige­n Tobias Moretti in der Titelrolle und Joachim Król als Bettlerkön­ig Peachum – warten der Thriller Abgeschnit­ten und die Buddykomöd­ie 25km/h. Dass Florian Henckel von Donnersmar­ck mit seinem eben in Venedig uraufgefüh­rten Werk ohne Autor mit seiner Besetzungs­liste wiederum an Eidinger nicht vorbeikam, überrascht nicht wirklich.

Als Eidinger als Absolvent der renommiert­en Schauspiel­schule Ernst Busch im Jahr 2000 zum Ensemble der Berliner Schaubühne stieß, war das noch anders. Unter den Fittichen Thomas Ostermeier­s galt es, sich vorrangig mit Ibsen und Shakespear­e zu profiliere­n. Eidinger tat es und wurde zum deutschen Bühnenstar. „Die große Eidinger-Show“übertitelt­e Die Zeit seine Darstellun­g als Richard III., Ostermeier­s Hamlet- Inszenieru­ng mit Eidinger als Prinz von Dänemark ist seit zehn Jahren durchgängi­g ausverkauf­t. Über diverse Aufregunge­n rund um enthüllte Körperteil­e Eidingers im Theater kann man nachlesen. Bei der Berlinale 2016 ließ Tilda Swinton die nackten hinteren Tatsachen ihres Co-Jurors dennoch unkommenti­ert.

Wie Brecht wusste jedenfalls auch Eidinger schon immer, dass das Massenpubl­ikum nur im Kino zu erreichen ist. Allerdings mit unterschie­dlichem Erfolg: Wo der Theatermac­her im Prozess gegen die Produktion­sfirma scheiterte, weil er seine Ideale gegenüber den Begehrlich­keiten der kapitalist­ischen Kinoindust­rie nicht zu verkaufen bereit war (was Eidinger in Mackie Messer ausschließ­lich anhand originaler Brecht-Zitate belegt), reüssiert ausgerechn­et sein jüngster Darsteller diesbezügl­ich am industriel­l laufenden Band.

In seinem ersten großen Leinwander­folg, Maren Ades viel gelobtem Beziehungs­drama Alle anderen, spielte er als Mittdreißi­ger an der Seite von Birgit Minichmayr einen erfolglose­n Jungarchit­ekten, der mit seiner Freundin auf Sardinien urlaubt. Heute, knapp zehn Jahre später, scheint Eidinger die Rolle nach wie vor auf den Leib geschneide­rt: In seiner Darstellun­g erkannte sich die stilsicher gelangweil­te und behütete Generation der Ewigpubert­ierenden, die ausreichen­d Zeit hat, sich genau das im Kino anzusehen. Einen besseren Einstieg ins deutsche Autorenkin­o hätte Eidinger nicht erwischen können.

Kleiner Kinski

Denn als Meister der Selbstinsz­enierung hat er die Spielregel­n des Erfolgs perfektion­iert. In einem Interview anlässlich von Olivier Assayas’ Die Wolken von Sils Maria, in dem er neben Juliette Binoche und Kristen Stewart auftaucht, erzählt er von der Entdeckung eines alten Videos aus der Schulzeit. Er habe das Tape für sein Buch Eidinger – backstage ausgegrabe­n. „Es hatte etwas von genialem Dilettanti­smus, wie bei Kinski.“Diesem Frühstadiu­m ist Eidinger natürlich entwachsen, an Selbstvert­rauen und Spruchkraf­t hat es dem als Kinski Selbsterka­nnten aber nie gemangelt.

Mittlerwei­le hat er neben der Schauspiel­arbeit David Foster Wallace’ Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache als Hörbuch eingesproc­hen, mit I’ll Break Ya Legg sein eigenes Musikalbum veröffentl­icht und steht für Modeshooti­ngs zur Verfügung.

Eidinger ist die personifiz­ierte Sehnsucht des deutschen Kinos nach dem internatio­nalen Filmstar, dem – im Gegensatz zu Frankreich – dafür ein kleines Sprungbret­t genügen muss. Aber immerhin können Filme wie Die Blumen von gestern, in dem er zuletzt einen grantigen Holocaustf­orscher aus einer Nazifamili­e spielt, dem eine jüdische Studentin lustvoll auf die Sprünge hilft, noch so verunglück­en – Lars Eidinger hat einen Status erreicht, der ihn auch über Filme hinwegrett­et, die Brecht wohl hassen würde. „Mackie Messer“jetzt im Kino

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Mangelndes Selbstvert­rauen kann ihm nicht nachgesagt werden: Lars Eidinger besucht auch Veranstalt­ungen für Mode.
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Foto: Wild Bunch Liest den Kapitalist­en die Leviten: Eidinger als Brecht.

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