Prozess nach Amoklauf
Ein 23-Jähriger soll versucht haben, in Wien fünf Menschen zu erstechen, vier wurden schwer verletzt. Vor Gericht sagt er, er könne sich nicht mehr erinnern.
Ein 23-jähriger Afghane muss sich wegen fünffachen Mordversuchs vor einem Geschworenengericht verantworten. Er hat im März eine Familie und seinen angeblichen Dealer auf der Praterstraße mit Messerstichen schwer verletzt.
Die Folgen der Taten wirken nach. Jeden Tag“, sagt Privatbeteiligtenvertreterin Monika Ohmann dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Nina Steindl in ihrem Eröffnungsstatement. Wie sehr die Ereignisse vom Abend des 7. März nachwirken, erleben die Zuhörer, als die 57-jährige Frau H. als Zeugin aussagt. Sie war das erste Opfer der Messerattacken in Wien-Leopoldstadt und bricht bei ihrer kurzen Aussage völlig zusammen, verlässt unter Weinkrämpfen den Saal.
Schuld daran ist laut Anklage Jafar S., 23 Jahre alt und in Österreich zweimal vorbestraft. Laut Staatsanwältin habe er auf der Praterstraße wortlos und ohne Vorwarnung Vater, Mutter und Tochter H. niedergestochen und teils lebensgefährlich verletzt. Einen Passanten, der ihn stoppen wollte, habe er versucht zu stechen, aber nicht erwischt. Danach lief er zum nahen Praterstern und stach seinem angeblichen Drogendealer in den Oberkörper.
Verteidiger Wolfgang Blaschitz versucht die Ereignisse zweizuteilen: Die Attacke auf Familie H. sei im Zuge einer kurzzeitigen Psychose erfolgt. Beim späteren Angriff auf dem Praterstern habe es dagegen keinen Mordvorsatz gegeben: „Er hat seinem angeblichen Dealer nur einen Abreibungsstich verpasst“, argumentiert Blaschitz.
Zur Vorgeschichte: Im Oktober 2015 kam S. nach Österreich. Sein Traum, den er dem psychiatrischen Sachverständigen Peter Hofmann verriet: Er wollte eine Pilotenaus- bildung machen. Nur: „Es hat überhaupt nicht so funktioniert, wie er es sich vorgestellt hat“, resümiert Hofmann. Im Gegenteil: Der Angeklagte kam mit Cannabis, Kokain und Ecstasy in Kontakt, wurde zum Händler und Konsumenten.
Die Einvernahme des Angeklagten ist etwas seltsam. Zur Anklage wegen fünffachen Mordversuchs sagt er: „Ich weiß nicht, was ich getan habe. Ich habe Drogen genommen und kann mich nicht mehr erinnern.“Was Beisitzer Ulrich Nachtlberger nicht glaubt: „Das ist unmöglich. Es kann einfach nicht stimmen!“Denn es gibt einen Blutbefund, in dem wurden zwar Abbauprodukte von THC gefunden, aber nicht von den drei Gramm Kokain und Ecstasy, die der Angeklagte am 7. März genommen haben will. S. ignoriert Nachtlbergers Einwand.
In dieser Tonart geht es weiter. Die beiden Messer mit zehn Zentimeter langen Klingen habe er sich aus Angst vor anderen Afghanen besorgt, erzählt der Angeklagte zunächst. Später dann, er wollte sich mit den Waffen an einem Portier eines Hotels am Nestroyplatz rächen, der ihm zuvor ein Zimmer verweigert und als „schwul“bezeichnet hatte. Warum er Familie H. angegriffen hat, bleibt auch vage. Bei der Polizei hatte er noch angegeben, er habe sich von ihnen ausgelacht gefühlt.
Er habe niemanden verletzen wollen, beteuert der Angeklagte. Wieder platzt Nachtlberger der Kragen: „Was passiert normalerweise, wenn man auf einen Men- schen wuchtig einsticht?“– „Weiß ich nicht, ich habe davor noch nie auf wen eingestochen.“– „Sie haben doch gerade vorher gesagt, sie haben das Messer aus Angst vor Afghanen gekauft. Da müssen Sie ja eine gewisse Erwartungshaltung gehabt haben. Verstehen Sie die Inkonsistenz Ihrer Verantwortung?“S. versteht es offenbar nicht.
Psychiater Hofmann kann keinen Hinweis auf eine Geisteskrankheit des Angeklagten entdecken und hält eine kurzzeitige Psychose für praktisch ausgeschlossen. „Meiner Meinung nach war es ein Amoklauf“, sagt der Experte zu den Angriffen.
Das Urteil stand bei Redaktionsschluss noch aus.