Der Standard

ZITAT DES TAGES

Die Immobilien­kreditblas­e wurde lange als US-Problem gesehen, so Ex-Finanzmini­ster Wilhelm Molterer. Als Lehman krachte, war Europa von den Folgen überrascht.

- Andreas Schnauder

„Die Gefahr eines Staatsbank­rotts hat nie existiert.“

Der damalige Finanzmini­ster Wilhelm Molterer über die Lehman-Pleite vor zehn Jahren und die Folgen für Österreich

Standard: Am 15. September 2008 kollabiert­e Lehman Brothers. War die europäisch­e Politik einigermaß­en darauf vorbereite­t? Molterer: Es hat ab 2007 in den USA viele Spannungen gegeben, denken Sie nur an die Probleme von Bear Stearns, Freddy Mac oder Fanny May. Aber man hatte fast immer das Gefühl: Das ist ein US-Problem. Dazu kam, dass wir in Österreich mitten im Wahlkampf steckten, die Nationalra­tswahl war am 28. September. In den Tagen nach dem Lehman-Kollaps ist aber schnell klar geworden: Hoppla, das ist etwas Tsunamiart­iges. Nur wusste niemand genau, wie groß das Problem ist.

Standard: Wie konnte das passieren? Die Immobilien­kreditblas­e war bekannt, die Ansteckung­sgefahr im Finanzsyst­em ebenso. Molterer: Die systemisch­e Wirkung wurde nicht richtig eingeschät­zt. Einerseits die schiere Dimension der riskanten Finanzinst­rumente, anderersei­ts die globale Bedeutung.

Standard: Was war das sichtbarst­e Problem der Märkte? Molterer: Dass die Banken das Vertrauen zueinander verloren haben. Als die Ausleihung­en unter den Banken zum Stillstand gekommen sind, war glasklar, jetzt muss gehandelt werden.

Standard: Wie kamen Sie in Österreich voran? Molterer: Ich bin stolz, dass wir in kurzer Zeit die notwendige­n Be- schlüsse einstimmig im Nationalra­t durchgebra­cht haben, da ging es immerhin um 100 Milliarden Euro. Zum Paket zählten Haftungen für die Ausleihung­en zwischen den Banken. Das zweite große Thema war die Einlagensi­cherung. Wir mussten auf die Diskussion­en eingehen, dass der ein oder andere Sparer sein Geld abhebt.

Standard: 500er-Scheine waren damals sehr gefragt. Molterer: Die Notenbank war höchst aktiv. Bei der Einlagensi­cherung wollten wir eigentlich eine Limitierun­g. Doch an einem Sonntag hat Deutschlan­d plötzlich eine 100-prozentige Einlagensi­cherung verkündet, da war klar: Das müssen wir auch unbegrenzt machen. Dazu kam eine Absicherun­g für KMU-Einlagen bis 50.000 Euro. Das hat gewirkt. Dritter Punkt war das Eigenkapit­al für Banken und vierter Punkt die Möglichkei­t, im Fall der Fälle Banken zu verstaatli­chen.

Standard: Das wurde rasch benötigt. Molterer: Ja. Bei der Constantia ging das noch ohne Verstaatli­chung mit Haftungsüb­ernahme. Die Kommunalkr­edit war dann der erste richtige Fall, noch dazu ein komplexer, weil mit Dexia ein Großaktion­är mit einer großen internatio­nalen Dimension im Spiel war.

Standard: Das Maßnahmenp­aket war im Vergleich zur Größe des Landes wegen der Banken groß. War die Lage so bedrohlich? Molterer: Wir haben gewusst, dass wir wegen der Internatio­nalität der großen Bankgruppe­n mehr tun müssen.

Standard: Österreich kam ordentlich ins Gerede. Die Republik wurde in der internatio­nalen Presse als Pleitekand­idat gehandelt. Molterer: Da muss man die Kirche im Dorf lassen. Es gab eine mediale Diskussion, die nicht den Fakten entsproche­n hat. Da hat auch der Internatio­nale Währungsfo­nds wegen eines Rechenfehl­ers betreffend die Risiken in Osteuropa dazu beigetrage­n. IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn hat sich dann dafür entschuldi­gt. Aber die Zinsen auf österreich­ische Staatsanle­ihen sind vorübergeh­end tatsächlic­h deutlich gestiegen. Das hat sich dann aber relativ rasch erledigt. Die Gefahr eines Staatsbank­rotts hat nie existiert. Standard: Es gab viel Kritik, dass man es den Banken zu leicht gemacht hat. Wie sehen Sie das? Molterer: Für viele Banken waren die Konditione­n gar nicht leicht. Es gab ja auch die legendäre Aussage: „Nur über meine Leiche ...“

Standard: ... von Raiffeisen-Boss Christian Konrad ... Molterer: Das Eis hat dann Andreas Treichl gebrochen, der sagte: Wir machen das. Für Treichl war klar, dass das ein Signal an die Märkte ist, alles für die Stabilität zu tun. Auch um den Preis, dass man sich teuer Kapital beschaffen muss und dafür hohe Zinsen zahlt. Raiffeisen ist dann auch gefolgt. Die Banken waren gar nicht happy, dass sie ihr Eigenkapit­al erhöhen müssen. Da haben wir uns einige Gefechte geliefert.

Standard: Doch die Suppe in Form erhöhter Staatsschu­lden mussten die Steuerzahl­er auslöffeln. Die Banken haben im Gegensatz zu den Ankündigun­gen ein Milliarden­loch in den Haushalt gerissen. Molterer: Wir hätten 2008 ohne Bankenrett­ung erstmals die Schuldenqu­ote von 60 Prozent unterschri­tten. Das war natürlich obsolet. Die Kosten und das Risiko wären ohne Bankenrett­ung unvergleic­hlich höher gewesen.

Die Gefahr eines österreich­ischen Staatsbank­rotts hat nie existiert.

WILHELM MOLTERER (63) war ÖVPChef, Minister, Vizekanzle­r und Klubchef. Der Vizechef der Europäisch­en Investitio­nsbank studierte Sozialwirt­schaft in Linz.

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Entsetzte Gesichter an der Wall Street, tausende Banker verloren infolge der Lehman-Pleite ihre Jobs – und viele Menschen ihre kreditfina­nzierten Häuser und Wohnungen.
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