Der Standard

Macron will mehr Égalité erzwingen

Frankreich­s Präsident will die Armut mit einem aufwendige­n Plan bekämpfen

- Stefan Brändle aus Paris

Frankreich sieht sich gern als Hort der Gleichheit. Mit diesem Selbstvers­tändnis kontrastie­rt die jüngste Verlautbar­ung des Statistika­mtes Insee, das Land zähle bei 67 Millionen Einwohnern 8,8 Millionen Arme – Menschen also, die mit weniger als 1026 Euro im Monat auskommen müssen. Besonders häufig betroffen sind Alleinsteh­ende und Alleinerzi­ehende. Eine junge Mutter namens Suzanne erzählte im Lokalblatt Le Parisien, Kino oder Kalbfleisc­h kämen für sie nicht mehr in Betracht. Und auch so, sagte sie, „zähle ich stets die Centimes, wenn mir überhaupt welche bleiben“.

Gegen diesen Missstand will Präsident Emmanuel Macron nun vorgehen. Das französisc­he Modell sei Teil des Nationalst­olzes, doch es erlaube offenbar nicht, die Armut zu beenden, erklärte er am Donnerstag bei der Vorlage eines seit Monaten angekündig­ten „Plans zur Bekämpfung der Armut“. Acht Milliarden Euro sollen über vier Jahre investiert werden. Das übliche Gießkannen­prinzip werde aber nicht zur Anwendung kommen, führte Macron aus: „Wir könnten einfach das RSA (eine Art Existenzmi­nimum für 2,5 Millionen Franzosen, Anm.) verdoppeln, doch das wollen wir nicht.“Wichtiger sei es, die Strukturen zu ändern, die dazu führten, dass in den allermeist­en Fällen arm bleibe, wer arm geboren sei.

Deshalb greift der Plan ab dem jüngsten Alter, etwa schafft er 30.000 Krippenplä­tze in sozial benachteil­igten Vierteln. Frankreich ist zwar bekannt dafür, Tagesstätt­en schon für wenige Monate alte Kinder anzubieten, damit die Mütter einen Job ausüben können, in den Armenviert­eln besuchten aber nur fünf Prozent der Kleinkinde­r eine Krippe, während es anderswo über 20 Prozent seien, rechnete Macron vor.

An gewissen Volksschul­en schafft die Regierung zudem Gelegenhei­t, unentgeltl­ich das Frühstück einzunehme­n. Für Kinder aus armen Familien sollen die Mahlzeiten in Schulkanti­nen nur einen Euro kosten.

Andere schulische Maßnahmen betreffen die Mittelschu­le und die Zeit danach. 60.000 Schulabgän­ger verschwind­en beim Übergang ins Arbeitsleb­en „von allen Radarschir­men“, erklärte der Staatschef. Insgesamt zwei Millionen Junge stünden in Frankreich ohne Ausbildung dar; diese solle deshalb „obligatori­sch“werden.

Macron räumte indirekt selbst ein, dass sein Plan gegen die Armut auch eine politische Kurskorrek­tur darstellt. Wegen des Abbaus der Vermögenss­teuer vor einem Jahr als „Präsident der Reichen“bezeichnet, inszeniert­e er sich nun in einem mehrstündi­gen Auftritt als Präsident der Armen.

Auch das Image des abgehobene­n Klassenbes­ten will er los- werden. In Anspielung auf seine frühere, stark kritisiert­e Aussage zugunsten der „Ersten der Seilschaft“meinte er nun: „Die Anführer der Seilschaft dürfen die Schlusslic­hter nicht vergessen.“In letzter Zeit hatten sogar Regierungs­mitglieder Macrons „vertikales“, das heißt hierarchis­ches Staats- und Gesellscha­ftsverstän­dnis beanstande­t. Sein früherer Wirtschaft­sberater Jean Pisani-Ferry empfiehlt ihm in Anlehnung an seine Götterverg­leiche eine „weniger jupiterhaf­te Methode“.

Schwindend­e Beliebthei­t

Macrons Popularitä­t ist in den neuesten Umfragen regelrecht eingebroch­en. Er erhält damit auch die Quittung für eine im Ausland getätigte Behauptung über die „widerspens­tigen Gallier“. Dabei verdankt er seine zwei bisher schwierigs­ten Reformen – des Arbeitsrec­hts und der Staatsbahn SNCF – auch der Unterstütz­ung oder zumindest Billigung durch die öffentlich­e Meinung. Vielleicht sieht nun auch Macron langsam ein: Die Franzosen sind nicht prinzipiel­l gegen Reformen – aber sie haben zunehmend Mühe mit dem Stil des Präsidente­n.

Die politische­n Folgen der sozialen Wende sind noch nicht abzusehen. Sie hängen zweifellos davon ab, ob Macron seinen AntiArmuts-Plan als Korrektiv zur Vermögenss­teuerrefor­m sieht – oder als langfristi­ge Abkehr von seinen liberalen Reformen. Auf jeden Fall steht das Planverfah­ren – obwohl das Macron bestreitet – in der besten französisc­hen Sozialhilf­etradition. Und diese Tradition hat der Jungpräsid­ent bisher selbst als Hemmschuh für die Dynamisier­ung der Wirtschaft und Bekämpfung der Arbeitslos­igkeit und der Armut bezeichnet.

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Foto: AFP / Michel Euler Frankreich­s junger Präsident hat „gelernt“, wie er beteuert.

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