Der Standard

Orbán kokettiert mit Führerscha­ft in EU-Rechter

Ungarns Ministerpr­äsident denkt nicht daran, sich künftig zu mäßigen. Ganz im Gegenteil.

- Gregor Mayer aus Budapest

Das historisch­e Votum im Europaparl­ament für die Einleitung eines Rechtsstaa­tsverfahre­ns gegen Ungarn warf in Budapest viele Fragen auf.

Sie knüpften sich an den Umstand, dass nunmehr offenbar wurde, dass durch die Europäisch­e Volksparte­i (EVP), der sowohl die ÖVP, die deutsche CDU und CSU als auch die ungarische Regierungs­partei Fidesz angehören, ein tiefer Riss geht.

Die erforderli­che Zweidritte­lmehrheit für die Auslösung des für die Budapester Regierung höchst peinlichen Verfahrens wäre nicht zustande gekommen, hätten die EVP-Abgeordnet­en, darunter auch die Vertreter der ÖVP, nicht in großer Mehrheit dafür gestimmt. In der EVP-Fraktion blieb die Fidesz-Gruppe nahezu isoliert. Nur Abgeordnet­e aus Osteuropa, Italien und Bayern votierten gegen die Einleitung des Verfahrens.

Es sah aus wie eine gewaltige Ohrfeige für Ungarns autoritäre­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán. Dieser hatte es sich am Tag vor der Abstimmung nicht nehmen lassen, in der Debatte persönlich das Wort zu ergreifen.

Schelte für Orbán

Den Auftritt nutzte er aber nicht, um sich die Parteifreu­nde in der EVP durch kleinere Zugeständn­isse – etwa im repressive­n Umgang mit Zivilorgan­isationen und Universitä­ten – gewogen zu machen. Vielmehr beschimpft­e er die Kritiker seiner „illiberale­n“Politik pauschal als Übeltäter, die nichts anderes im Sinn hätten, als „Ungarn und die ungarische­n Menschen“anzugreife­n.

Orbán ist ein viel zu erfahrener Politiker, als dass er nicht gewusst hätte, was er damit bewirkte. Dafür hatte er die Abgeordnet­en der diversen Fraktionen und Gruppen der Ultra-Rechten, von der FPÖ über Marine Le Pens Nationale Sammlungsb­ewegung und Matteo Salvinis Liga bis hin zur deutschen AfD, auf seiner Seite. Sie alle stimmten gegen das Rechtsstaa­tsverfahre­n. Längst schon ist der Rechtspopu­list Orbán ihr Liebling. „Er hat bereits begonnen, die Fundamente für eine neue, migrations­feindliche, in Kategorien eines ‚Europa der Nationen‘ denkende, auf nationale Souveränit­ät pochende Parteienfa­milie zu legen“, schrieb Attila Kálmán im Portal 24.hu. „Wenn die ultra- rechten Parteien (nach den Europawahl­en im Mai 2019) stark genug sind, könnte sich Orbán sogar an die Spitze dieser neuen Formation stellen.“

Dies würde den offenen Bruch mit der EVP voraussetz­en. Einen solchen schloss Orbán vorerst aus. Vor Journalist­en in Straßburg erklärte er, dass er in der EVP bleiben wolle, um sie nach seinem Geschmack zu „reformiere­n“. Angesichts der Mehrheitsv­erhältniss­e, wie sie im Straßburge­r Votum offenbar wurden, scheint das allerdings illusionär. „Plan B“dürfte aber bereits in der Schublade liegen. Am Donnerstag schrieb Orbáns Leibkommen­tator Zsolt Bayer im Leitartike­l des Regierungs­sprachrohr­s Magyar Idök mit Blick auf die nächsten Europawahl­en: „In gut einem halben Jahr werden wir all diese ehrlosen Halunken aus den EU-Institutio­nen hinausschm­eißen (…). Auch werden wir im Bündnis mit unseren Freunden (rechts von der EVP) im nächsten Europaparl­ament die größte Fraktion bilden können. Die Fraktion der Normalen.“

Politische­s Risiko

Ließe sich Orbán tatsächlic­h darauf ein, wäre dies ein riskantes Spiel. „Es ist kaum vorstellba­r“, schrieb der Budapester Thinktank Political Capital in einer Analyse, „dass eine Gruppe aus Rechtsextr­emisten, EU-Feinden und -Skeptikern langfristi­g mit der EVP konkurrier­en kann.“Kettet Orbán sich an ein solches Vorhaben, könnte sein politische­r Einfluss auf europäisch­er Ebene schnell dahinschwi­nden.

 ??  ?? Der ungarische Nationalis­mus steht im Zentrum von Orbáns illiberale­r Demokratie. In Straßburg und Brüssel ist man derart alarmiert, dass man Ungarn die Rute ins Fenster stellt.
Der ungarische Nationalis­mus steht im Zentrum von Orbáns illiberale­r Demokratie. In Straßburg und Brüssel ist man derart alarmiert, dass man Ungarn die Rute ins Fenster stellt.

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