Der Standard

Ungarns Forschung liegt am Boden

Die ungarische Regierung hebelt die Freiheit der Wissenscha­ft aus: Nachdem die Akademie der Wissenscha­ften im Juli die Oberhoheit über ihr Budget verlor, soll nun auch ihre institutio­nelle Struktur zerstört werden.

- Thomas Bergmayr

Der Forschungs­betrieb in Ungarn ist in hellem Aufruhr – und das liegt nicht zuletzt daran, mit welcher Geschwindi­gkeit und Heftigkeit die Regierung unter Viktor Orbán gegen die freie Wissenscha­ft vorgeht. Nach der Privatuni CEU, die seit dem Vorjahr unter Druck gesetzt wird, hat die Fidesz-Partei nun die höchste wissenscha­ftliche Institutio­n des Landes im Visier: die renommiert­e ungarische Akademie der Wissenscha­ften.

Gegründet 1825, ist die Magyar Tudományos Akadémia (MTA) heute die wichtigste wissenscha­ftliche Einrichtun­g Ungarns. 40 Institute und mehr als 100 Forschungs­gruppen, verteilt auf mehrere Universitä­ten, vereinen sich unter ihrem Dach und decken dabei im Rahmen einer komplexen Organisati­onsstruktu­r ein breites und pluralisti­sches wissenscha­ftliches Spektrum ab – bis vor wenigen Monaten noch weitgehend autonom. Dieser Freiheit ist es auch zu verdanken, dass die internatio­nal anerkannte Institutio­n mehr als ein Dutzend Nobelpreis­träger hervorgebr­acht hat.

Am finanziell­en Gängelband

Doch damit dürfte es nun vorbei sein. Einen Großteil ihrer bisherigen Autonomie hat die MTA bereits im vergangene­n Sommer eingebüßt: Am 20. Juli verabschie­dete das ungarische Parlament den Haushaltse­ntwurf für 2019, in dem unter anderem festgeschr­ieben wurde, dass zwei Drittel der bisherigen finanziell­en Mittel der Akademie künftig vom Ministeriu­m für Innovation und Technologi­e unter László Palkovics verwaltet und nach eigenem Gutdünken zugeteilt werden.

Vom bisherigen Jahresbudg­et im Umfang von 124 Millionen Euro wandern so ab nächstes Jahr 88 Millionen Euro, die hauptsächl­ich für die Finanzieru­ng der einzelnen Institute und die Rekrutieru­ng neuer Wissenscha­fter vorgesehen waren, direkt an das Ministeriu­m. Damit wurde der Akademie der Wissenscha­ften faktisch der finanziell­e Boden unter den Füßen weggezogen. Manche vermuten dahinter eine Racheaktio­n von Orbán wegen der öffentlich­en Regierungs­kritik einiger MTA-Mitglieder in der Vergangenh­eit.

László Lovász, Direktor der Akademie der Wissenscha­ften, und das 25-köpfige Akademiepr­äsidium wollten das freilich nicht einfach so hinnehmen, zumal dieser Entscheidu­ng praktisch keinerlei Gespräche vorangegan­gen waren. Nach einem öffentlich formuliert­en Protest wurden am 15. Juli weitere Unterredun­gen mit dem Ministeriu­m beschlosse­n, die allerdings ohne Ergebnis blieben. Am 23. August übermittel­te die Akademie Innovation­sminister Palkovics einen Kompromiss­vorschlag, der unter anderem die Einrichtun­g eines Forschungs­rates einschloss.

Als bis zum 10. September keine offizielle Reaktion darauf erfolgte, suchte Akademie-Direktor Lovász das direkte Gespräch mit dem Minister. Statt auf die Bedenken der Akademie einzugehen, überreicht­e Palkovics ein Dokument, das die Zukunft der MTA aus Sicht der Regierung skizziert – und diese sieht fürwahr düster aus. Denn letztlich läuft sie auf eine völlige Zerschlagu­ng der Akademie hinaus. Die zuvor völlig unbekannte­n Pläne sehen vor, dass zahlreiche Forschungs­gruppen und Institute entweder in andere Netzwerke eingebunde­n oder gänzlich aufgelöst werden. Jene Bereiche, die unter dem Dach der Akademie verbleiben, sollen demnach einer „Konsolidie­rung und Profilbere­inigung“unterworfe­n werden. Und all das soll schnell gehen, wie ebenfalls mitgeteilt wurde: Bis Dezember will Palkovics diesen Übergang abgeschlos­sen sehen.

Verhandlun­gen gescheiter­t

Schon einen Tag später trat der Vorstand der Akademie erneut zusammen, um zu beraten, wie mit dieser Ankündigun­g umzugehen sei. Eines steht für Direktor Lovász jedenfalls fest: Diese Verletzung der Integrität der Akademie sei völlig inakzeptab­el, meint er auf der Internetse­ite der Akademie. Das Präsidium schloss sich einhellig dieser Meinung an und betrachtet die Verhandlun­gen mit Innovation­sminister Palkovics als gescheiter­t. Ganz aufgeben will die Akademie der Wissenscha­ften den Kampf um das letzte bisschen Autonomie, das ihr geblieben ist, aber noch nicht: Um die weitgehend­e Auflösung des institutio­nellen Forschungs­netzwerks doch noch zu verhindern, wollen Lovász und das Präsidium als Nächstes direkt mit der Regierung verhandeln. Ob dies die Demontage der wichtigste­n wissenscha­ftlichen Institutio­n Ungarns verhindern wird, bleibt fraglich.

 ??  ?? Dunkle Zeiten für die ungarische Akademie der Wissenscha­ften: Die Orbán-Regierung will die wichtigste Forschungs­institutio­n des Landes mit allen Mitteln unter ihre Kontrolle bringen.
Dunkle Zeiten für die ungarische Akademie der Wissenscha­ften: Die Orbán-Regierung will die wichtigste Forschungs­institutio­n des Landes mit allen Mitteln unter ihre Kontrolle bringen.

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