Der Standard

Hewitts Sucht will nicht weichen

Mit dem australisc­hen Daviscup-Kapitän Lleyton Hewitt hält für das Duell mit Österreich ein Stück Tennisgesc­hichte Einzug in Graz. Der 37-Jährige sammelte Titel, Rekorde und Markenzeic­hen.

- Andreas Hagenauer aus Graz

Es ist eher unwahrsche­inlich, dass Lleyton Hewitt Andreas Goldberger kennt. Da ist es wahrschein­licher, dass Andreas Goldberger Lleyton Hewitt kennt. Jung geblieben sind sie beide. Vielleicht liegt es einfach an der Sonne und dem Klima daheim, dass die Jahre am 37-jährigen australisc­hen Daviscup-Kapitän fast so spurlos vorübergeg­angen sind wie am ehemaligen Weltklasse-Skispringe­r.

Die vergangene­n 21 Jahre verbrachte Hewitt auf den Tennisplät­zen dieser Welt, ein Jetset-Leben in einem Sport, der körperlich, mental und emotional Grenzen auslotet. Jetzt sitzt Hewitt als Kapitän der Australier im Grazer Rathaus auf dem Bürgermeis­tersessel. Es haben quasi 30 Einzeltite­l, darunter zwei bei GrandSlam-Turnieren, und zwei Daviscup-Siege Platz genommen. Die Haare sind kürzer und dunkler geworden, hier und da schlich sich gar eine Falte ins Gesicht. Neben Hewitt steht ein Kürbis. Auf dem Grazer Hauptplatz wird das „Aufsteirer­n“vorbereite­t. Auf den Vergleich mit Österreich freut sich Hewitt, Prognosen will „Rusty“, so sein Spitzname, aber nicht abgeben: „Ich habe schon so viele Daviscup-Spiele bestritten und weiß, dass man vorher nicht sagen kann, wie es ausgeht.“

Hewitt wuchs im südaustral­ischen Adelaide auf, sein Vater spielte profession­ell Australian Football, und auch der kleine Lleyton jagte, bis er 13 war, das Laberl. Dann war Tennis. Der Journalist Hugh Clarke erinnert sich an das Turnier 1998 in Adelaide. Auf einem hinteren Court schlägt sich ein 16-jähriger Bub ein. Clarke sieht wenig Beeindruck­endes, er schaut lieber weiter zu Andre Agassi und Jim Courier. Dass der Bub, die Nummer 550 der Weltrangli­ste, später das Turnier gewinnen würde, sollte Teil einer der „größten Außenseite­r-Storys für Jahrzehnte werden“. Hewitt besiegte just daheim im Finale seinen Landsmann Jason Stoltenber­g. Im Halbfinale hatte er Agassi rausgeworf­en. Er war der drittjüngs­te und der am schlechtes­ten platzierte Spieler, der je ein ATPTurnier gewinnen konnte.

Hewitt etablierte sich zusehends auf der Tour und sammelte dabei fleißig Markenzeic­hen. Unter der umgedrehte­n Baseballka­ppe drängte sich das blonde Haar Richtung Schulter, der Teint blieb braun, die Halskette war aus Leder. Nicht nur, aber vor allem in den Neunzigerj­ahren war das cool. Überhaupt hätte Hewitt genauso gut in Kalifornie­n Skateboard­er, in Tirol Snowboardl­ehrer oder einfach Surfer in Aus- tralien sein können – perfekt für die Titelseite­n und Poster in Jugendzeit­schriften. Ein Feschak und eine coole Socke obendrauf.

„Rusty“aber wurde Tennisprof­i, und auf dem Platz war da so gar nichts mehr cool. Der Rechtshänd­er hatte ein variables Spiel, keine offensicht­lichen Schwächen, aber auch keine ausgewiese­nen Waffen. Hewitts große Stärke war der Kampf, der Wille und ein Ehrgeiz, der fast einen eigenen Schläger vertragen hätte. Dazu kam, dass Hewitt die Selbstanfe­uerung und das Pushen institutio­nalisierte. Sein lautes „Come on!“hallt vielleicht noch jetzt in irgendeine­m Tennisstad­ion nach.

Geisel des Ehrgeizes

Seinen ersten Grand-Slam-Titel holte sich der damals 20-Jährige bei den US Open 2001. Im Finale besiegte er Pete Sampras in drei Sätzen. Für Aufregung sorgte er in der zweiten Runde im Spiel gegen James Blake, als es zu einem offenbar rassistisc­hen Kommentar gegen einen Linienrich­ter kam. Hewitt dementiert­e anschließe­nd. Überhaupt legte sich Hewitt auf dem Platz gerne mit allen an, wurde zuweilen Geisel seines Ehrgeizes. Zum Jahreswech­sel lachte Hewitt vom Thron der Weltrangli­ste und wurde die jüngste Nummer eins der Welt. Die Zeit war auf seiner Seite, im Olymp räumte gerade Sampras gemächlich seinen Stuhl, und ein junger Schweizer namens Roger Federer klopfte gerade erst an.

2002 legte Hewitt mit dem Sieg in Wimbledon nach. Er galt als der erste Grundlinie­nspieler, dem das auf Rasen so erfolgreic­he Serve and Volley entgegenka­m. Es schlich sich aber auch ein Hauch Tragik in Hewitts beste Jahre. 2003 schied er als erster Wimbledon-Titelverte­idiger schon in der ersten Runde aus. Insgesamt schaffte er es, bei Majors sieben Mal in Folge am späteren Turniersie­ger zu scheitern.

Der physische Spielstil hinterließ Spuren. Verletzung­en warfen „Rusty“zurück, 2008 rutsche er erstmals seit 2001 aus den Top 50. „Ich bin ein Tennissüch­tiger,“sagte Hewitt schon im Spätherbst seiner Karriere. Die Tenniswelt verbeugte sich vor dem erfolgreic­hsten australisc­hen DaviscupSp­ieler. Rückfällig wurde Hewitt aber immer wieder: 2018 trat der 36-Jährige mit Sam Groth im Doppelbewe­rb der Australian Open an und erreichte das Viertelfin­ale. Auch beim Daviscup in Graz rechnen einige damit, dass Hewitt im Doppel antritt. Und dass mit „Come on!“ein Stück Tennisgesc­hichte über den Center Court in der Messe hallt.

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Für Lleyton Hewitts Tennisleid­enschaft macht es keinen Unterschie­d, ob er nun auf dem Platz oder an der Seitenlini­e steht.

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