Der Standard

Erst die Rettung, dann die Belohnung

Nach den Staatshilf­en für Wall-Street-Banken flossen bald wieder die Boni. Während Kreditnehm­er wegen falscher Angaben verfolgt wurden, passierte Banken wenig. Dabei hatten sie die „Ninja“-Kredite gepusht.

- Frank Herrmann aus New York

Die Federal Hall liegt direkt an der Wall Street, der berühmten Straße, deren Name tatsächlic­h auf eine Art Mauer zurückgeht. Auf einen Wall, den im 17. Jahrhunder­t niederländ­ische Kaufleute errichtete­n, um ihre Siedlung Nieuw Amsterdam zu schützen. „Mauerbau. Kommt einem irgendwie bekannt vor“, sagt James Foytlin und spricht von Donald Trump und der Grenze zu Mexiko, aber nur kurz. Sein Thema ist schließlic­h die Finanzkris­e, nicht der US-Präsident.

Des besseren Überblicks wegen federt er die ausgetrete­nen Stufen einer alten Treppe hinauf und stellt sich oben vors Säulenport­al der Federal Hall, in der, so viel Geschichte muss sein, George Washington seinen Amtseid ablegte, als es die Stadt Washington nur auf dem Reißbrett gab. Von der Halle kann man herabblick­en auf das tiefer gelegene Gebäude der New York Stock Exchange, der Börse mit den mächtigen Steinfigur­en, die ihre Fassade unterm Dach zieren. In der Mitte Integrity, die Integrität, die Redlichkei­t, eine Frau. „Ihr Job ist es zu garantiere­n, dass sich alle, die hier Handel treiben, nach höheren Standards richten“, erklärt Foytlin. Angesichts der Finanzakro­batik, die der Finanzkris­e des Jahres 2008 vorausging, klingt der Satz wie Hohn, das weiß er selbst.

Foytlin kennt den Finanzdist­rikt wie seine Westentasc­he. Ende der Siebziger fing er dort an, bei einer Investment­bank namens Dean Witter. Später machte er sich als Vermögensb­erater selbststän­dig. Heute berät er Start-up-Unternehme­n, schreibt einen Blog und zeigt auf seiner „Financial Crisis Tour“die Schauplätz­e der rasanten Talfahrt des September 2008, die der Pleite des Hauses Lehman Brothers folgte. Ein waschechte­r New Yorker, so stellt er sich vor. Was unter anderem bedeutet, auf zeitrauben­de Höflichkei­tsfloskeln zu verzichten. Foytlin besitzt die Gabe, die Dinge so zuzuspitze­n, dass auch ein Laie sie auf Anhieb versteht. Und dass er von keinem Arbeitgebe­r mehr abhängig ist, hat den Vorteil, dass er keine Rücksichte­n nehmen muss.

Kalte Füße

Der Rundgang endet am Prachtbau der Federal Reserve, der amerikanis­chen Notenbank, Außenstell­e New York. Streng bewacht, weil im Kellergewö­lbe Goldbarren lagern. Am Wochenende vor dem Montag, an dem Lehman Brothers in den Bankrott rutschte, stand sie im Zeichen hektischer Krisensitz­ungen. Henry Paulson, damals Finanzmini­ster, und Tim Geithner, Direktor der Fed in New York, hatten die Chefs großer Finanzinst­itute herbeiziti­ert, um einen Käufer für Lehman zu finden. Da auch die letzten potenziell­en Interessen­ten kalte Füße bekamen, war das Schicksal des Pleitekand­idaten besiegelt. Die Lehren aus dem Kapitel? Ein Crash, antwortet Foytlin, der abgeklärte Wall-Street-Veteran, lasse sich nun einmal nicht verhindern. Wenn eines sicher sei, dann nur, dass es irgendwann zum nächsten Absturz komme.

„Aus der Krise lernen“ist das Motto, unter das die Brookings Institutio­n, eine der renommiert­esten Thinktanks der USA, eine zweitägige Diskussion­srunde stellt. In der Woche vor dem Jahrestag, im Zentrum Washington­s, nicht in den Häuserschl­uchten Manhattans. Drei Schlüssela­kteure von damals sind gekommen: Paulson, Geithner und Ben Bernanke, seinerzeit der Notenbankc­hef. Bernanke ist heute Gelehrter bei Brookings, außerdem berät er zwei Investment­gesellscha­ften, Pimco und Citadel.

Paulson hat in Chicago seinen eigenen Thinktank gegründet. Geithner leitet Warburg Pincus, eine private Beteiligun­gsgesellsc­haft. Die drei sitzen lässig in roten Sesseln, machen einander Kompliment­e, reden vom vorbildlic­hen Teamgeist, der in höchster Not herrschte. Eine Krise, sagt Paulson mit seiner Reibeisens­timme, habe in Amerika noch immer den Effekt, die Sinne zu schärfen und einen Kraftakt möglich zu machen. Jedenfalls würde er keinem raten, in Krisen gegen Amerika zu wetten.

Pulver verschosse­n

Der Tenor: Zuversicht, dass sich ein solcher Schlag ins Kontor so bald nicht wiederholt. Aber man hat nicht den Eindruck, dass die drei allzu fest daran glauben.

Bernanke warnt vor den Folgen ausufernde­r Defizite. Gerade jetzt, da die Republikan­er im Bunde mit dem Präsidente­n Donald Trump ihre Steuersenk­ungen durchs Parlament gepaukt haben, dem Staat viele Milliarden an Einnahmen verlorenge­hen, die Schuldenbe­rge wachsen und die USA immer mehr Geld für die Zinsen auf Staatsschu­lden ausgeben müssen. Das alles begrenze die Kapazität der fiskalisch­en Feuerwehr für den Fall, dass der nächste Brand gelöscht werden müsse, mahnt Bernanke.

Im Zuge der Finanzkris­e, wirft Geithner in die Runde, habe er vor allem eines begriffen: „Dass es erst ganz furchtbar werden muss, bevor sich die Politik zum Handeln entschließ­t.“Weise sei das nicht, kein intelligen­tes Konzept für eine große Volkswirts­chaft. Nur fürchte er, dass es sich beim nächsten Mal genauso wiederhole.

Es war Bernanke, als Akademiker auf die Große Depression der 1930er-Jahre spezialisi­ert, der im Herbst 2008 am energischs­ten darauf drängte, in großem Stil zu intervenie­ren, um der in Angst erstarrten Finanzwelt neues Vertrauen einzuflöße­n. Paulson, der von Goldman Sachs in die Regierung gewechselt war, war anfangs skeptisch, wurde dann aber ironischer­weise zum größten Staatsinte­rventionis­ten in der Nachkriegs­geschichte des Landes. Der Kongress in Washington schnürte ein 700-Milliarden-Dollar-Paket, um toxische Wertpapier­e aufzukaufe­n.

„Tatsache ist, die Leute mögen keine Banken“, zieht Paulson ein Fazit, dessen Nüchternhe­it überrascht. „Und als die Krise da war, mochten sie die Banken noch weniger.“Zumal sich die Banker, nachdem der Steuerzahl­er sie gerettet hatte, mit fetten Boni belohnten, als wäre nichts gewesen. Schon 2009. Paulson wirkt noch heute perplex. „Ein atemberaub­ender Verlust an Fingerspit­zengefühl. Das wirkte wie Öl ins Feuer.“

Warum keiner der Beteiligte­n im Gefängnis landete? James Foytlin stellt die Frage so klar, wie es nun einmal seine New Yorker Art ist. Doch, doch, beantworte­t er sie, er kenne Hausfrauen in New Jersey, die hinterher bestraft worden seien. Sie hätten auf Kreditantr­ägen ihr Familienei­nkommen falsch angegeben, viel zu hoch, um sich mit viel zu hohen Summen geborgten Geldes ein größeres Haus leisten zu können. Gängige Praxis in den Jahren des Immobilien­rauschs, zumal die Hypotheken­makler umso mehr verdienten, je höher die Kredite waren. Ninja-Loans: „No income, no job, no assets.“Einige Kreditnehm­er hätten sich deswegen verantwort­en müssen, blendet Foytlin zurück. „Aber was ist mit den Banken, die den Leuten all das Geld liehen?“

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Damals versetzte Lehman die Welt in Angst und Schrecken. Ein Crash sei nicht zu verhindern, meint Ex-Banker Foytlin heute auf seiner „Financial Crisis Tour“.
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