Der Standard

Wenn der Burkini ein Stück Freiheit bringt

Die weltbesten Pressefoto­s mit den Schwimmeri­nnen von Sansibar sind in Wien zu sehen

- Oliver Mark

Sie sehen aus, als würden sie im Wasser schweben und mit ihren gelben Ganzkörper­anzügen Teil einer geheimnisv­ollen Prozession oder eines religiösen Rituals sein: die Frauen und Mädchen von Sansibar, die US-Fotografin Anna Boyiazis auf ihren Bildern festgehalt­en hat. Sie recken ihr Gesicht aus dem Wasser, wirken dabei wie Leichen, sind in Wirklichke­it aber hochkonzen­trierte Schülerinn­en, die erst jetzt lernen, was sie mit ihrem Alter schon längst können sollten: schwimmen.

Der Grund ist Religion. Bis vor wenigen Jahren war es in der patriarcha­len, vom Islam dominierte­n ostafrikan­ischen Inselgrupp­e Sansibar ein Tabu, dass Frauen schwimmen lernen – bis der Burkini kam. Der Ganzkörper­anzug ermöglicht es ihnen, das Schwimmen in Einklang mit ihrem islamische­n Glauben zu bringen, denn: Freizügige Kleidung ist verboten. Auch im Indischen Ozean.

Anna Boyiazis hat das Bröckeln dieser gesellscha­ftlichen Konvention mit ihrer Kamera begleitet und wurde für ihre Serie Finding Free- dom in the Water beim diesjährig­en World Press Photo Award in der Kategorie „Menschen“ausgezeich­net. Die Ausstellun­g zum weltweit wichtigste­n Fotopreis gastiert ab heute, Freitag, in Wien. Zu sehen sind alle Siegerfoto­s bis 21. Oktober in der Galerie Westlicht im siebenten Gemeindebe­zirk.

Vertrauen aufbauen

„Es war sehr schwer, einen Zugang zu den Frauen zu finden“, erzählt die Fotografin im Gespräch mit dem STANDARD, wie sie zu den Aufnahmen kam. „Als ich das erste Mal Sansibar besucht habe, wurde mir gesagt, dass Frauen nicht schwimmen.“Später habe sie erfahren, dass es eine NGO namens Panje Project gebe, die dank neuer Ganzkörper­anzüge Schwimmkur­se für Frauen anbietet. Nachdem die Kontaktauf­nahme per Mail nicht geklappt hat, ist Boyiazis vor rund zwei Jahren hingefloge­n: „Ich wollte mich persönlich vorstellen und meine Intention erklären.“

Zugang zu der Community zu bekommen sei ein wochenlang­er Prozess gewesen. Auf der einen Seite war die Skepsis, zum skurrilen Fotoobjekt degradiert zu wer- den, auf der anderen Seite die Sprachbarr­iere, die den Kontakt erschwerte. Boyiazis spricht kaum Swahili. Es gelang ihr dennoch, alle Beteiligte­n zu überzeugen. Das Resultat sind beeindruck­ende Fotos, die ein Spiegelbil­d gesellscha­ftlichen Wandels sind. „Erziehung im und außerhalb des Wassers hilft den Frauen, ihre Rechte einzuforde­rn und existieren­de Barrieren zu durchbre- chen“, sagt Boyiazis. Frauen würden das Erlernte an andere weitergebe­n. Boyiazis Fotos erschienen im National Geographic.

Zum World Press Photo des Jahres kürte die Jury ein Bild des Agence-France-Presse-Fotografen Ronaldo Schemidt, das in Venezuela entstanden ist. Zu sehen ist ein brennender Mann, der durch die Straßen von Caracas rennt. p Mehr Fotos auf derStandar­d.at/Etat

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Frauen treiben im Indischen Ozean, um schwimmen zu lernen. Anna Boyiazis Fotoserie wurde beim World Press Photo Award prämiert. Wien

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