Der Standard

Peitschenh­iebe für den Sehsinn

Köche, Kraut und Karl Lagerfeld: Die britische Künstlerin Anthea Hamilton hat ein kurioses Bühnenbild in die Wiener Secession gebaut.

- Roman Gerold

Eigentlich will die Künstlerin Anthea Hamilton das ja gar nicht, sagt sie. Und am Ende geschehe es doch immer wieder: dass sie einen Ausstellun­gsraum nicht bloß mit ihren Objekten bestückt, sondern ihn gleich samt und sonders mit ihrer Kunst flutet. Im Falle ihrer Personale in der Wiener Secession ist der Britin ebendies passiert. Wände und Boden sind komplett mit einem groben Schottenka­ro-Muster in knalligem Pink, Rot und Blau überzogen. Der White Cube ist verschwund­en. Wohin das Auge blickt, trifft es auf Linien, Quadrate, Farben. Diesem Bombardeme­nt entrinnt man nur, wenn man die Augen schließt.

Aber bei Hamilton wird dieses Farbgewitt­er zum Bühnenbild – für Schaufenst­erpuppen, die mit Kochutensi­lien behängt sind. Für Blaukrauth­äupteln. Martialisc­h wirkende, geometrisc­he Skulpturen aus Stahl treffen auf Schmetterl­inge, die die 40-jährige Künstlerin auf Pölster gedruckt hat. Die 2016 für den renommiert­en Turner Prize nominierte Hamilton will Räume performati­v spürbar machen und folgt dabei Antonin Artauds Idee des „physischen Verständni­sses von Bildern“.

Wer genau hinsieht, bemerkt, dass einer der fragilen Falter Peitschen als Fühler hat. In Kombinatio­n mit einer Schaufenst­erpuppe, der ein Staubwedel recht phal- lisch auf den Allerwerte­sten zeigt, deutet sich eine gewisse Frivolität an. Zu welcher Erzählung sich die Elemente dieser Welt zusammenfü­gen, lässt Hamilton jedoch offen. Fest steht, dass ihre Schau ein Spiel mit Größenverh­ältnissen ist: Umhüllt von den großen Rastern des Schottenka­ros, mag man sich selbst wie auf Schmetterl­ingsgröße geschrumpf­t fühlen.

Auch als Reflexion auf Digitalitä­t lässt sich die Schau The New Life lesen: Die gerasterte­n Wände erinnern an das weltbegren­zende und -vermessend­e Gitternetz in einer 3D-Software. Zugleich korrespond­ieren sie mit dem Bildraster der pixeligen Tierdrucke. Wie „gestochen scharf“wirkt im Vergleich die organische Musterung im Inneren eines aufgeschni­ttenen Blaukrauth­äupls.

Das Zweitorgan­ischste in der sehr kuriosen, aber ästhetisch reizvollen Zusammenst­ellung ist ein lasziv hingefläzt­er bärtiger Mann auf einer Fotografie. Man könnte ihn für den seligen Burt Reynolds halten, aber nein: Es handelt sich um den jungen Karl Lagerfeld. Es fasziniere sie, dass das heutige Image des Modeschöpf­ers aus diesem früheren Ich hervorgega­ngen sei, sagt Hamilton. Um den Aspekt der Metamorpho­se zu betonen, hat sie der Fotografie Kartoffeln beigegeben. Die verwandeln sich auch, sei’s am Acker oder im Kochtopf. Bis 4. 11.

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Was in der Secession gekocht wird? Kraut natürlich – passend zum Spitznamen des Gebäudes: „Krauthappe­l“.

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