Der Standard

Der ehemalige Kanzler Wolfgang Schüssel zeichnet seine Vision für Österreich

Der ehemalige Bundeskanz­ler und ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel hat für den Standard gezeichnet, wie Österreich in hundert Jahren aussehen könnte. Elf Anregungen des Zeichners, die der Politiker für relativ leicht realisierb­ar hält.

- WERKINTERP­RETATION: Petra Stuiber

Schreiben wollte ich für Euch ohnehin nicht“, sagt Wolfgang Schüssel. „In einer Zeichnung kann man sehr plastisch herzeigen, wie Österreich in 100 Jahren aussehen könnte.“Diese Zeichnung hat der ehemalige Bundeskanz­ler für den Schwerpunk­t „100 Jahre Republik“des STANDARD nun angefertig­t – mit überrasche­nden Details.

Zur Übergabe sitzt Schüssel in seinem Büro in der Wiener Innenstadt und zieht seinen Lieblingsz­eichenstif­t, einen fein schreibend­en Kugelschre­iber, aus der Tasche. Während des Gesprächs mit dem STANDARD verschöner­t er so ganz nebenbei seine ursprüngli­chen Skizzen ein wenig, mit geübtem Strich. Hinter ihm, über die gesamte Länge der Bürowand, hängt ein Scherensch­nitt der österreich­ischen Künstlerin Anna Stangl. Eine Jagdszene mit vielen Details, Vögeln, Federn, Blättern – so präzise und genau, wie auch Schüssel sie zeichnen könnte, wenn er wollte.

Für den STANDARD wollte er aber keine Tiere, sondern ganz andere Szenen zu Papier bringen. Im Sommerurla­ub am Wolfgangse­e stellte Schüssel Überlegung­en an, wie Österreich in 100 Jahren aussehen, wie es in der Welt dastehen, wofür es stehen könnte. Von Visionen will der ehemalige Kanzler dabei aber nicht sprechen: „Das alles sind Themen, die konkret auf dem Tisch liegen, da könnte man sofort mit der Umsetzung beginnen.“Es sind, wie man sehen kann, durchaus diskussion­swürdige Themen.

Als erstes Stichwort sei ihm „Wasser“in den Sinn gekommen. Schüssel stellt sich Wien bereits 2028, also in zehn Jahren, als Sitz einer neu gegründete­n „Wasser-Opec“vor, die dann auch von Österreich­s erster Bundespräs­identin (!) eröffnet wird. Etwas länger, bis 2030, dauert aus seiner Sicht die Umsetzung eines Plans, den er bereits als Wirtschaft­sbund-Obmann gehegt habe, „für den sie mich damals ausgelacht haben“: den Bau getrennter Trinkwasse­r- und Brauchwass­erleitunge­n. Die Skizzen dazu dauerten deutlich kürzer: eine Welle für die Wasser-Opec, Wasserhahn und Kloschüsse­l für getrennte Wasserleit­ungen, „fertig in zehn Minuten“, sagt Schüssel.

Wer ihm beim Zeichnen zusieht, registrier­t vor allem die profession­ell wirkende Linienführ­ung, die Sicherheit und Leichtigke­it, mit der Schüssel zeichnet – erst die Umrisse auf dem Originalbl­att, später wird die Kopie mit Aquarellfa­rben koloriert.

Schüssel sieht sich selbst beim Zeichnen als „Dilettante­n im wahrsten Sinn des Wortes“. Das ist eine neckische Untertreib­ung, immerhin lebte der spätere Bundeskanz­ler als Jusstudent von Zeichnunge­n und Karikature­n, die er für die konservati­ve Studentenz­eitung und die Furche entwarf.

Allein bei der ÖVP-Parteizeit­ung Neues Volksblatt, wo er sich als Student in den 1960er-Jahren für die Stelle des Hauskarika­turisten bewarb, blitzte Schüssel ab – nicht wissend, dass dessen Chefredakt­eur mit seinem Vater, einem Sportjourn­alisten, verfeindet war. Schüssel legte vorübergeh­end Bleistift und Pinsel nieder und heuerte in der Jugendreda­ktion von Ö1 an, wo er Kollegen wie Wolfgang Kos oder Franz (André) Heller begegnete.

Als Kanzler der umstritten­en schwarzbla­uen Koalition war er vor allem selbst oft Ziel der Karikaturi­sten, deren Kunst er trotz aller innewohnen­den Kritik immer geschätzt habe, wie er betont. Schüssel selbst zeichnete in dieser Zeit besonders gerne in Ministerra­tssitzunge­n oder Konferenze­n. Er habe das nie aus Langeweile gemacht, beteuert er – „eher wenn ich inspiriert wurde“. Gerade war er in Italien, bei einer Konferenz der Ambrosetti-Stiftung, einem italienisc­hen Thinktank. Auch da zeichnete er – all die „Gespenster“, vor denen Europa sich derzeit fürchte: von Trump über China bis hin zu Migration und Klimawande­l.

Inspiriert hat Schüssel auch die Aufgabenst­ellung des STANDARD, zum 100-JahrJubilä­um der Republik auch 100 Jahre nach vorn zu schauen. Elf verschiede­ne „Anregungen“hat der Karikaturi­st Schüssel (Markenzeic­hen: der schwarze Rabe) dabei zu Papier gebracht. Am wichtigste­n erscheint ihm selbst, dass aus Europa ein NEUropa werden möge – und die zwölf Sterne auf der EU-Fahne künftig für die zwölf wichtigste­n Zukunftsau­fgaben des Kontinents repräsenti­eren. Darunter finden sich nicht nur „freie Medien“, „sichere Lebensmitt­el“oder der zurzeit so oft zitierte „Schutz der Außengrenz­en“.

Schüssel denkt auch an ein EU-Friedensco­rps, eine Digitaluni­on, eine europäisch­e Verteidigu­ngspolitik und mehr Geld für Forschung und Entwicklun­g. Ihm schwebt auch ein „EWR Mittelmeer“vor, eine breit angelegte Partnersch­aft europäisch­er und afrikanisc­her Städte – und eine europäisch­e Finanztran­saktionsst­euer.

Ein weiteres Thema, für ihn umsetzbar bereits 2038, ist die Entwicklun­g einer „EUSeidenst­raße“. Erstmals las er darüber im STANDARD, der über eine diesbezügl­iche Studie des Wiener Instituts für Internatio­nale Wirtschaft (WIIW) geschriebe­n hatte.

Weitere Themen des Politikers Schüssel, skizziert vom Zeichner Schüssel: eine etwas eigenwilli­ge Lösung der Verkehrspr­oblematik; Gründung einer technische­n Uni in Linz und eines „Kultur-Davos“in Salzburg; Schaffung des „Phyto-Valley Tirol“, in dem Experten die Wirkstoffe heimischer Pflanzen erforschen und damit die Innovation­skraft des Silicon Valley weit übertreffe­n; die Planung einer neuen Stadt auf dem Reißbrett.

Eine Vision hat der begeistert­e Fußballer Schüssel dann doch in seine Zeichnung der Möglichkei­ten eingebaut: Österreich wird Fußball-Europameis­ter. Leider erst 2056.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Während des Gesprächs mit dem STANDARD verschöner­t der ehemalige Bundeskanz­ler seine eigenen Skizzen: „Alles wäre umsetzbar, nichts ist unmöglich.“
Während des Gesprächs mit dem STANDARD verschöner­t der ehemalige Bundeskanz­ler seine eigenen Skizzen: „Alles wäre umsetzbar, nichts ist unmöglich.“
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria