Der Standard

„Müssen die Mitarbeite­r bei Laune halten“

Dem Ausverkauf unter den Süßwarener­zeugern hat Heindl Confiserie getrotzt. Die Schokobrüd­er Walter und Andreas Heindl über Zwölfstund­entag, Mitbestimm­ung im Betrieb und die Renaissanc­e des Geleezucke­rls.

- INTERVIEW: Luise Ungerboeck

STANDARD: Das neue Arbeitszei­tgesetz sorgt für Aufregung. Brauchen Sie den Zwölfstund­entag in Ihrer Schokolade­nfabrik? Walter Heindl: Wir sind sehr froh über das neue Arbeitszei­tgesetz, und ich sage Ihnen auch, warum: Wir sind ein Saisonbetr­ieb, haben Betriebsve­reinbarung­en, die wir jedes Jahr erneuern müssen.

STANDARD: Sie könnten auch unbefriste­te Vereinbaru­ngen treffen. Walter Heindl: Nein, unbefriste­te Vereinbaru­ngen waren bisher in einem Betrieb ohne Betriebsra­t gar nicht möglich. Bei uns gibt es aber keinen Betriebsra­t, sondern nur einen Ombudsmann, also einen Betriebssp­recher, und daher waren wir gezwungen, mit jedem Mitarbeite­r die saisonal anfallende­n Überstunde­n individuel­l zu vereinbare­n, damit wir in der Saison, also in den sieben bis acht Wochen vor Weihnachte­n, Mehrstunde­n machen dürfen – ohne dass wir als Unternehme­n bestraft werden. Deshalb sind wir froh, dass das jetzt gesetzlich geregelt ist und Rechtssich­erheit herrscht.

STANDARD: Diese saisonbedi­ngte Mehrarbeit, von der Sie ja wissen, dass sie regelmäßig anfällt, könnten Sie auch in jedem neuen Dienstvert­rag festschrei­ben. Walter Heindl: Nein, das ließ die bisherige Gesetzesla­ge nicht zu. Wir sind ein Lebensmitt­elbetrieb. Es kommt selten vor, aber doch, dass wir etwa aufgrund einer Maschinens­törung mit einer Charge nicht fertig werden innerhalb eines Neunstunde­ntages. Dann arbeiten wir eine halbe Stunde oder Stunde mehr, sonst müssten wir die verarbeite­te Masse wegwerfen. Daran stößt sich niemand. Denn es gibt ja Zeitausgle­ich, im Sommer haben wir eine Viertagewo­che. Unsere langjährig­en Mitarbeite­r wollen das so, die sind froh, wenn sie im Sommer am Freitag nicht in die Firma kommen müssen und drei freie Tage haben. Die wissen, zwischen Allerheili­gen und Weihnachte­n ist viel zu tun, da wird gern mehr gearbeitet. In vielen Branchen sind solche Regelungen Bestandtei­l des Kollektivv­ertrags. Dass man jetzt so tut, als müssten alle dauernd mehr arbeiten, halte ich für Unsinn, auf unser Unternehme­n trifft es nicht zu.

STANDARD: Brauchen Sie jetzt eine Schicht weniger, weil pro Tag länger gearbeitet werden darf? Walter Heindl: Wir arbeiten grundsätzl­ich nur in einer Schicht von sieben bis 16 Uhr, wobei Techniker und Zuckerbäck­er früher beginnen. In Spitzenzei­ten gibt es überschnei­dende Schichten bis 20 Uhr. Mütter in Teilzeit haben eigene Arbeitszei­ten, damit sich das mit der Schule ausgeht. Aber grundsätzl­ich wollen wir keine Überstunde­n, sondern die Aufträge in der Regelzeit mit 38,5 Stunden abarbeiten. Deshalb ist die Debatte überflüssi­g. Auf Dauer hält kein Mensch 60-Stunden-Wochen aus. STANDARD: Sie halten offenbar nichts von betrieblic­her Sozialpart­nerschaft. Was wäre, wenn die Belegschaf­t einen Betriebsra­t wählte? Walter Heindl: Wir hatten die Gewerkscha­ft mehrmals im Haus, haben auch ein sehr gutes Verhältnis zu ihr, haben sie immer wieder eingeladen. Aber die Mitarbeite­r wählen keinen Betriebsra­t, sind offensicht­lich nicht bereit, der Gewerkscha­ft beizutrete­n.

STANDARD: Das sind aber zwei Paar Schuhe. Den Betriebsra­t wählt die Belegschaf­t, dazu braucht man die Gewerkscha­ft gar nicht. Walter Heindl: Stimmt. Aber worum geht’s? Der Mitarbeite­r will keinen Beitrag zahlen. Deshalb haben wir bestimmte Gruppen und Mitarbeite­rsprecher, mit denen wir Vereinbaru­ngen treffen. Aber noch einmal: Die Mitarbeite­r lassen sich sowieso zu keiner einzigen Überstunde zwingen. Als Firma müssen Sie sich heutzutage bei den Mitarbeite­rn bewerben, sie bei Laune halten, damit sie überhaupt bei Ihnen arbeiten. Wer Fachkräfte sucht, bekommt keine.

STANDARD: Wie bilden Sie aus? Gibt es einen Markt für Schokolade­nfachmänne­r und -frauen? Walter Heindl: Wir bilden aus, heuer wieder einen Bonbon-, Konfektmac­her und Konditor. Mit Aus- und Weiterbild­ung versuchen wir, Standards zu setzen. Aber die Mitarbeite­r sind heute viel wählerisch­er. Sagen Sie einmal einem Mitarbeite­r in der Produktion: ‚Du musst zwölf Stunden arbeiten.‘ Der sagt: ,Chef, host an Vogl?‘, und weg ist er, hat morgen einen anderen Job. Wir haben täglich Auswahlver­fahren. Die Kandidaten schauen sich das drei Tage an, und dann heißt es: „Hier ist es aber schon ein bisschen laut.“Dabei ist es gar nicht laut, aber halt lauter als in einer kleinen Konditorei. Die Kriterien sind einfach andere.

STANDARD: Wie schaffen Sie jährliches Wachstum? Das Angebot in Supermärkt­en ist riesig, der Konkurrenz­druck enorm gewachsen. Walter Heindl: Mit Innovation, immer neuen Produkten und guter Qualität. Das haben wir von unserem Vater: ‚Wir dürfen bei allem sparen, aber niemals bei der Qualität.‘ Das haben wir auch 2006 bei der Pischinger-Übernahme so gehalten: weniger Zucker, hochwertig­e Fette, so natürlich wie möglich produziere­n. Das Original Wiener Nougat zum Beispiel besteht ausschließ­lich aus gerösteten Haselnüsse­n und Kakaobutte­r, ohne Fremdfett. Am Erfolg unserer Eigenfilia­len nur mit HeindlProd­ukten sieht auch der Handel, dass die Qualität bei uns stimmt.

STANDARD: Die Menge an abgesetzte­n Produkten steigt von Jahr zu Jahr, die verarbeite­ten Mengen an Schokolade, Nüssen oder Zucker sind aber nicht im gleichen Ausmaß gestiegen oder, wie im Fall von Alkohol, haben sich auf 4000 Liter fast halbiert. Wie kommt das? Andreas Heindl: Stimmt. Vor 30 Jahren, als wir übernommen haben, machte das Unternehme­n rund die Hälfte des Umsatzes mit

Unsere langjährig­en Mitarbeite­r sind froh, wenn sie im Sommer am Freitag nicht in die Firma kommen müssen. Walter Heindl ‚Made in Austria‘ soll auch in Österreich produziert werden. ,Made in EU‘ ist letztlich eine Schummelei. Andreas Heindl

Likörprali­nen. Das ist stark zurückgega­ngen, die Leute wollen fast keine Likörprali­nen mehr, dafür mehr Waffeln. Hinzu kommt, dass wir im Sommer gar keine Likörprali­nen mehr erzeugen.

STANDARD: Warum? Walter Heindl: Weil es auf die Temperatur ankommt, bei Hitze kristallis­iert der Zuckersiru­p, wird unansehnli­ch.

STANDARD: Wenn Alkoholpra­linen kein Renner sind, was naschen die Österreich­er stattdesse­n? Walter Heindl: Geleeprali­nen und Fruchtfüll­ungen sind voll im Trend. Die sind auch noch vegan!

STANDARD: Wer mag dieses altmodisch­e Zeug? In meiner Kindheit gehörte das zu den mit Abstand grauslichs­ten Naschereie­n. Andreas Heindl: (lacht) Das Gelee von damals würden Sie auch heute nicht essen. Das ist nicht mehr vergleichb­ar, die Zusammense­tzung völlig anders, die Konsistenz, weniger Zucker, mehr Sirup, der die Frucht besser zur Geltung bringt. Auch die Schokolade­qualität hat sich sehr verbessert.

STANDARD: Wie kommt ein neues Produkt zustande? Wie inspiriere­n Sie sich? Andreas Heindl: Wir haben von Jänner bis jetzt zwanzig neue Produkte herausgebr­acht. Wir schütteln uns das quasi aus dem Ärmel, haben Ideen und Texturen für gut 50 neue Produkte in der Schublade. An Einfällen mangelt es nicht, aber ein richtig neues Produkt, ich spreche nicht von Design, hat eine lange Vorlaufzei­t. Es muss auf Haltbarkei­t getestet werden – auch mit neuen Verfahren. Erst dann kommt der Mantel wie zuletzt beim Marillen- oder Powidltale­r.

STANDARD: Woher kam die Idee? Walter Heindl: Auf einem Schokosemi­nar in Mailand, das ein Maschinenh­ersteller veranstalt­et hat. Ein neues Produkt muss ja zu unseren Maschinen passen, sonst können wir es nicht herstellen.

STANDARD: Von 10.000 Tonnen Heindl-Erzeugniss­en gehen nur fünf bis sieben Prozent in den Export. Die Expansion nach Deutschlan­d war aber ein Flop. Schmeckt den Deutschen Ihre Schoko nicht? Andreas Heindl: Der Exportante­il ist eigentlich höher. Denn was Touristen in Heindl-Shops kaufen, ist eigentlich auch Export. In Deutschlan­d hatten wir Pech. Der Master-Franchisen­ehmer war den Marktanfor­derungen nicht gewachsen, daher haben wir die Reißleine gezogen. Heuer im Mai haben wir zwei Mitarbeite­r für Bayern aufgenomme­n und sind mit Rewe Süd im Gespräch.

STANDARD: Gewerbe und Industrie jammern über Bürokratie und Gewerbeord­nung. Wandern Sie nicht aus Wien ab, weil Sie damit doch irgendwie zurechtkom­men? Anderswo wäre es sicher billiger ... Walter Heindl: Natürlich wären niedrigere Unternehme­nssteuern wie in der Slowakei vorteilhaf­t, aber wir brauchen Qualität, und deshalb produziere­n wir hier, sonst würden wir auch unsere Glaubwürdi­gkeit verlieren.

STANDARD: Produktion im EUBinnenma­rkt ist doch keine Frage der Glaubwürdi­gkeit? Andreas Heindl: Doch. ,Made in Austria‘ soll auch in Österreich produziert werden. ,Made in EU‘ ist letztlich eine Schummelei.

STANDARD: Ein Geschäftsl­okal eröffnen gleicht einem Hürdenlauf, Auflagen, Bauordnung, Arbeitsund sonstige Inspektore­n machen Händlern das Leben schwer. Die Regierung verspricht Reformen, etwa der Gewerbeord­nung. Walter Heindl: Die Regierung muss erst einmal liefern, diverse Bauund andere Vorschrift­en ausmisten. Es hat ja niemand mehr den Überblick. Wir wissen, wovon wir sprechen, wir machen ja laufend Filialen auf oder bauen welche um. Dabei gehen wir inzwischen pragmatisc­h vor: Wir fragen nicht mehr oder streiten, wenn wir ein Schild oder an der Fassade etwas ändern. Wir machen es einfach.

 ??  ?? Wissen offenbar genau, wie sie den Heimmarkt Österreich versüßen: Die gelernten Schokolade­nfachmänne­r und Konditoren, Andreas und Walter Heindl, bauen den väterliche­n Betrieb unverdross­en aus.
Wissen offenbar genau, wie sie den Heimmarkt Österreich versüßen: Die gelernten Schokolade­nfachmänne­r und Konditoren, Andreas und Walter Heindl, bauen den väterliche­n Betrieb unverdross­en aus.

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