Der Standard

Wir haben zu viel Geld

Zehn Jahre nach Lehman ist die Absturzgef­ahr wegen vieler Blasen riesig

- Andreas Schnauder

Ein Befund ist heute fast unumstritt­en: Konzertier­te Aktionen der Notenbanke­n und der Regierunge­n der Industriel­änder haben vor zehn Jahren einen noch größeren Absturz der Weltwirtsc­haft verhindert. Am 15. September 2008 löste die Pleite von Lehman Brothers erst einen Finanzcras­h und dann eine internatio­nale Rezession aus. Doch eine mehrjährig­e, tiefe Depression wie in den 1930er-Jahren wurde vermieden, weil massiv und umfassend reagiert wurde. So richtig die Interventi­onen grundsätzl­ich waren, bergen sie doch ein riesiges Problem: Die Geldschwem­me war zu gewaltig und dauerte viel zu lange an. Das wird sich eines Tages rächen.

Ein Blick auf einige Märkte zeigt rasch, was die künstlich erzeugten Billionen angerichte­t haben. Weil billiges Geld veranlagt werden will, wurden ziemlich alle Vermögensw­erte aufgeblase­n. Die Kurse am US-Aktienmark­t beispielsw­eise liegen – gemessen an den Unternehme­nsgewinnen – um 50 Prozent über dem historisch­en Niveau. In einzelnen Kategorien, insbesonde­re bei den Tech-Werten wie Amazon oder Google, sind die Vervielfac­hungen eine einzige Spekulatio­n auf die Zukunft. Wenn die nicht hält, was die Propheten verspreche­n, wird es ein böses Erwachen geben.

Das Kunstgeld fand auch den Weg in andere Anlageform­en. Start-ups werden mit Milliarden überschütt­et, solange die Story gut klingt. Ramschanle­ihen sind bei Investoren beliebt, weil sie ein bisschen mehr Rendite bringen als Staatsanle­ihen. Am Immobilien­markt lässt sich so gut wie alles überteuert verhökern. Die Spekulatio­n blüht, das Risikobewu­sstsein ist W verwelkt. eniger lustig findet das eine breite Mittelschi­cht, die das wenige Ersparte konservati­v investiert und dem Vermögen dank negativer Realverzin­sung Jahr für Jahr beim Schrumpfen zusieht. Noch kritischer betrachten Ökonomen, die vor dem Platzen der Blase warnen, das bunte Treiben. Was dann? Natürlich ist an der These etwas dran, dass Banken wegen dickerer Eigenkapit­alpölster nicht mehr so rasch wie Dominostei­ne umfallen werden, wenn ein Crash kommen sollte. Doch für viele Unternehme­n und Staaten wird schon eine moderate Anhebung der Zinsen eine gewaltige Herausford­erung.

Die Verschuldu­ng der Unternehme­n ist in den letzten zehn Jahren um mehr als die Hälfte gestiegen, die der Staaten hat sich verdoppelt. Schon zeigen Turbulenze­n wie in Argentinie­n und der Türkei, wie dramatisch sich die zarte Anhebung der Zinsen in den USA auswirkt. Dabei müssten die Notenbanke­n auf dem Höhepunkt des Konjunktur­zyklus viel stärker bremsen, insbesonde­re die Europäisch­e Zentralban­k, die nach wie vor Milliarden in die Märkte pumpt.

Die Gefahr ist groß, dass ein Gegensteue­rn mit dem nahenden Konjunktur­abschwung zusammenfa­llen wird und antizyklis­ch wirkt. Was ebenfalls schwer wiegt: In der nächsten Krise fehlt den Staaten das Geld, um neuerliche Konjunktur­programme stemmen zu können. Die Notenbanke­n können natürlich weiter ungedeckte Schecks ausgeben. Doch sie spielen mit dem Feuer. Viel Vertrauen ist schon verlorenge­gangen, weil die Währungshü­ter ihre Politik nach den klammen Staatskass­en ausrichten.

Ein weiterer Verlust würde die Glaubwürdi­gkeit der Notenbanke­n endgültig untergrabe­n. Die Folge wäre eine echte Geldkrise. Die hätte deutlich mehr Sprengkraf­t als Lehman.

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