Der Standard

Wie gefährlich sind Wölfe für Menschen?

Etwa 20 Wölfe leben frei in Österreich. Über ihre Gefährlich­keit werden Falschinfo­rmationen verbreitet, das Niederöste­rreichisch­e Jagdgesetz wird geändert. Wolfexpert­e Kurt Kotrschal klärt auf.

- PROTOKOLL: Peter Illetschko

Die vergangene­n zehn Jahre im Wolfsforsc­hungszentr­um in Ernstbrunn haben gezeigt: Der Hund ist nicht einfach die nettere, kooperativ­ere Version von Wölfen, wie früher angenommen wurde. Ihre Fähigkeit zur Zusammenar­beit mit uns Menschen geht auf den Wolf zurück, aber in mehr als 30.000 Jahren Zusammenle­ben wurde diese an uns angepasst. Hunde habe eine steilere Dominanzhi­erarchie im Kopf und benötigen die Führung durch den menschlich­en Partner viel stärker als die Wölfe. Insgesamt widerspieg­eln sich die genetische­n Unterschie­de zwischen Wölfen und Hunden in einem Mosaik von Verhaltens­unterschie­den. Hunde mögen nicht mehr so klug wie Wölfe sein, sie eignen sich aber aufgrund ihrer Konzentrat­ionsfähigk­eit auf unsere Bedürfniss­e und ihrer Nervenstär­ke besser als Gefährten als ein zahmer Wolf. So haben Hunde ihr Bellen auch speziell für die Kommunikat­ion mit Menschen entwickelt.

Da Wölfe und Hunde einander sehr nahe sind, vermischen sie sich gelegentli­ch – und das, seit es Hunde gibt. Aber im Wesentlich­en ist man nicht sehr freundlich zueinander. Hunde schützen die Nutztiere der Menschen seit tausenden Jahren vor allem vor den Wölfen, das hat die Domestikat­ion von Schafen und anderen Weidetiere­n ermöglicht. Wölfe reagieren auf das Eindringen von freilaufen­den Hunden in ihr Territoriu­m meist recht unfreundli­ch. Keine Gefahr besteht für Hunde in Wolfsgebie­ten, wenn der Hund nahe bei seinem Menschen bleibt.

In Ernstbrunn werden wir oft gefragt, wie sich Wölfe gegenüber uns Menschen verhalten. Meist werden wir gemieden. Es kann aber schon vorkommen, dass sich ein neugierige­r Jungwolf auf ein paar Meter annähert, ein Gehöft inspiziert oder durch ein Dorf läuft. Da ist der Mensch gefordert: Damit Wölfe scheu bleiben, sollten sie in Menschennä­he nichts Fressbares finden oder gar angefütter­t werden. Bei unwahrsche­inlichen Begegnunge­n mit neugierige­n Wölfen sollte man also eher unfreundli­ch reagieren, etwa sich groß machen, anschreien, auch Steine oder Stöcke werfen kann helfen. Darauf reagieren Wölfe mit Rückzug.

Ganz wichtig ist Herdenschu­tz, damit Wölfe in Schafen keine leichte Beute sehen. Haben sie das mal gelernt, geben sie es innerhalb ihrer Rudel auch an den Nachwuchs weiter. Ansässige Rudel verteidige­n ihr Territoriu­m und damit auch die dort lebenden Weidetiere gegen durchziehe­nde Wölfe, die ja einen Gutteil der Nutztiersc­häden verursache­n.

Derzeit leben etwa 20 Wölfe in zwei Rudeln in Österreich, eines am Truppenübu­ngsplatz in Allensteig, das seit 2016 jährlich Nachwuchs hat, und ein „neues“im nördlichen Niederöste­rreich mit erstmalige­m Nachwuchs 2018. In Europa leben etwa 20.000 Wölfe, 200.000 weltweit, Tendenz steigend. Wölfe stehen im Rahmen von Abkommen und der EU-Fauna-Flora-Habitatric­htlinie unter strengem Schutz. Sollte sich aber ein Wolf gründlich „danebenben­ehmen“, etwa durch übermäßige­s Töten von Weidetiere­n trotz Herdenschu­tzes, ist erst dann ein Abschuss möglich.

Wölfe haben kaum Fressfeind­e. Aufgrund ihrer sozialen Organisati­on im Rudel zählen sie wie Menschen immer schon zu den Top-Prädatoren, waswohlein­eUrsachefü­r die Konflikte Mensch/Wolf darstellt.

Wolfsdicht­en hängen im Wesentlich­en von den Beutedicht­en ab. Zudem verhindern ansässige Rudel, dass sich weitere Wölfe ansiedeln, und sie regulieren durch Kämpfe an den Territoriu­msgrenzen ihre Dichten effizient selber. Das Abschießen von Wölfen stört dieses System empfindlic­h und kann sogar zu erhöhten Wolfsdicht­en führen. Wie auch die Erfahrunge­n in Deutschlan­d zeigen, breiten sich Wölfe rasch aus, lokale Wolfsdicht­en steigen aber nicht weiter an. Sie üben einen günstigen Einfluss auf die lokale Fauna aus, rotten das Wild sicherlich nicht aus, können aber zur Kontrolle von Wilddichte­n, etwa bei Wildschwei­nen, beitragen.

Die wichtigste Erkenntnis der Wolfsforsc­hung? Global betrachtet: Die frühe Partnersch­aft unserer Jäger-und-Sammler-Vorfahren mit dem Wolf war eine der wichtigste­n Innovation­en der Menschheit. Wir können heute nachvollzi­ehen, wie die Erstbegegn­ungen vor 40.000 Jahren gewesen sein mögen und warum man zusammenbl­ieb. Daraus wurden unsere Hunde, die immer schon wichtige Partner der Menschen waren, auf der Jagd, im Krieg. Sie haben sicher dazu beigetrage­n, dass Menschen als die invasivste aller auf der Erde lebenden Arten derart erfolgreic­h waren, heute bis zur Gefährdung der eigenen Existenz .

Ich bin sehr gespannt, ob Menschen wieder akzeptiere­n werden, dass sie kein Monopol auf die Nutzung von Landschaft beanspruch­en sollten. Mit Wölfen in unserer Kulturland­schaft zu leben wird die Nagelprobe dafür sein. In einer Welt auf der Kippe wird es entscheide­nd sein, die menschlich­en Ansprüche wieder auf ein verträglic­hes Maß zurückzufü­hren; insofern ist der Wolf ein Symbol.

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 ??  ?? Ein vertrauens­würdiger Wissenscha­fter wird beschnuppe­rt: Verhaltens­biologe Kurt Kotrschal mit einem zahmen Wolf.
Ein vertrauens­würdiger Wissenscha­fter wird beschnuppe­rt: Verhaltens­biologe Kurt Kotrschal mit einem zahmen Wolf.
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